Aktienmärkte sind Junkies

Das Finanzsystem werde künstlich mit Liquidität am Leben gehalten, satt Lösungen schaffe man eine endlose Aneinanderreihung von Krisen, moniert Bestsellerautor und Ökonom Marc Friedrich.

Text: Barbara Kalhammer

Herr Friedrich, Ihr neustes Buch heisst «Kapitalfehler». Welches sind die grössten?

Das Grundübel ist unser Geldsystem. Dieses generiert eine Finanzmarktblase beziehungsweise eine Krise nach der anderen. Durch das billige Geld der Notenbanken und den Nullzins, bald Negativzins auf breiter Front wird dieses Krisenkarussell kontinuierlich am Laufen gehalten.

Hat sich seit 2008 nichts verbessert?

Nein. Die Krisen wurden nicht gelöst, sondern mit viel billigem Geld überdeckt und in die Zukunft verschoben. Auf Kosten der Bürger und Sparer wird teuer Zeit erkauft. Wir haben bereits Negativzinsen und diese werden in der Zukunft noch weiter sinken. Sparer können nicht mehr adäquat fürs Alter vorsorgen.

Was passiert mit dem billigen Geld?

Das will angelegt werden. Dabei fliesst es aber nicht wie erhofft in die Realwirtschaft, sondern landet vorwiegend in den Aktien- und Immobilienmärkten, wo es die Preise immer weiter nach oben treibt.

Dabei waren Immobilien doch bereits 2008 Auslöser der Krise.

Genau das ist das Absurde: Wir haben nichts aus der Vergangenheit gelernt. 2008 platzte die Immobilienblase und nun versuchen die Menschen, ihr Vermögen zu schützen, indem sie wieder in Betongold investieren. Das wird auch dieses Mal nicht gut gehen. Viele, die es sich nicht leisten können, verschulden sich bis zum Hals, um mit Geld, das ihnen nicht gehört, oftmals vollkommen überteuerte Immobilien zu kaufen. Das ging in Spanien, Irland und den USA schief, warum sollte es jetzt funktionieren?

Wohin führt der Weg?

Wir bewegen uns auf den Zusammenbruch des Systems zu, und zwar mit Vollgas. Die Notenbanken und Politiker halten krampfhaft an einem bereits gescheiterten Programm fest und betreiben volkswirtschaftliche Schadensmaximierung auf Kosten von uns Bürgern. Wenn es eine Lösung geben würde, hätten sie diese längst lautstark präsentiert. Doch unser Finanzsystem hat eine mathematisch begrenzte Lebensdauer, dessen Haltbarkeitsdatum 2008 nachweislich abgelaufen ist. Seither wird es mit Geldspritzen und Niedrigzinsen künstlich am Leben erhalten.

Sie warnen schon länger vor dem Crash. Wann kommt er?

Bis Ende dieser Dekade dürfte es vorbei sein. Die weltweite Verschuldung wurde seit 2008 von 100 auf 200 Billionen verdoppelt. Eine neue Finanzmarktkrise kann sich die Welt schlichtweg nicht leisten.

Gibt es eine Alternative zu unserem Finanzsystem?

Ja, diese fordern wir auch in unserem Buch. Viel besser wäre, das System jetzt kontrolliert herunterzufahren und in die richtigen Bahnen zu lenken. Aber da wir eben nichts aus der Vergangenheit gelernt haben, wird wohl erst der Zusammenbruch ein Umdenken erzwingen. Dann werden die Protagonisten in der Politik den Gong hören und den dringend notwendigen Wandel initiieren. Leider dann mit drastischeren Aus-wirkungen.

Von der Politik sind also keine Veränderungen zu erwarten?

Nein, natürlich nicht. Der Wandel muss von unten kommen, die breite Bevölkerung muss den Druck erhöhen. Das Problem ist eben, dass die aktuelle Politik stark verbandelt ist mit der Finanzwelt. Staaten finanzieren sich über Steuereinnahmen und Staatsanleihen, also Schulden. Und diese Anleihen kaufen vor allem Banken und Versicherungen auf. Alle Staaten haben damit Schulden bei der Finanzwelt.

Was sind die Folgen?

Es ist wie überall: Nicht der Schuldner bestimmt, wo es lang geht, sondern der Gläubiger. Darum liessen sich die Politiker 2008 nicht von unabhängigen Wirtschaftsexperten beraten, sondern vorwiegend von Vertretern von Goldman Sachs, Deutsche Bank, Allianz und Konsorten. Mehr denn je gilt: Geld regiert die Welt.

Können sich Banken alles erlauben?

Die Bankenbranche ist die einzige weltweit, die ausserhalb von Recht und Gesetz steht. Sie kann tun und lassen, was sie möchte, ohne dafür zu haften. Finanztransaktionssteuer? Zerschlagung von grossen Banken? Insolvenzrecht für Banken? Weit und breit ist davon nichts zu sehen. Alles andere ist nur Schmuckwerk zur Beruhigung.

Sie fordern eine Insolvenzregelung für Staaten und Banken?

Genau das fordern wir in unserem Buch, in dem wir praktikable Lösungsvorschläge präsentieren. Banken und Staaten müssen- genauso Pleite gehen können wie alle anderen Unternehmen. Bisher konnte mir noch keiner erklären warum es eine Branche gibt, die unantastbar ist. Nun bleibt zu hoffen, dass die Notenbanken diese auch berücksichtigen.

War der Brexit nur der erste Schritt zum Zusammenbruch der EU?

Er war die rote Karte für die abgehobene- Elite in Brüssel. Der Brexit ist der Anfang vom Ende der EU, aber auch des Euros. Denn die Währung eint Europa nicht, sondern zerstört es und gefährdet unseren Wohlstand. Es wird weitere Referenden geben und die Reaktion aus Brüssel, Berlin und Paris waren wenig hoffnungsversprechend. Man will es nicht wahrhaben, aber die Menschen fühlen sich von der EU nicht mehr abgeholt.

Trotz dieser düsteren Prognose entwickeln sich die Aktienmärkte derzeit relativ gut. Sind sie zu optimistisch?

Die Märkte werden verwöhnt und durch das billige Geld der Notenbanken nach oben bugsiert. Da wir aber einen Anlagenotstand haben, investieren die Menschen aus Verzweiflung immer weiter in die Aktienmärkte. Ohne die Geldspritzen würden sie sich deutlich schwächer entwickeln. Allein nach der kleinen Zinsanhebung der US-Notenbank Fed im letzten Jahr gaben die Kurse deutlich nach. Die Aktienmärkte sind abhängig vom billigen Geld wie Junkies von Drogen. Mit Nachhaltigkeit hat das nichts zu tun. Das basiert auf sehr dünnem Eis.

Wie wirken die Notenbanken in der Praxis auf die Märkte?

Nicht nur durch die Liquidität. Bei der Recherche für das zweite Buch haben wir festgestellt, dass die Fed die US-Märkte in 85 Prozent aller Handelstage manipuliert hat. In Europa hatte die EZB an drei von vier Tagen ihre Finger im Spiel. 90 Prozent des weltweiten Vermögens zirkuliert nur noch im Finanzsektor. Das ist nicht nachhaltig.

Wie sieht unsere To-do-Liste aus?

Wir haben im Buch eine erstellt und zwar so, dass sie auch von der Politik verstanden werden kann. Wir Bürger müssen mündige Investoren werden und die Politik dazu bringen, den notwendigen und längst überfälligen Wandel voranzutreiben. Denn einfach so wird er nicht passieren, er muss durch die Menschen kommen. Nur noch geht es uns viel zu gut. Darum befürchte ich, dass erst Schlimmeres passieren muss, bevor wir die richtigen Wege einschlagen.

Marc Friedrich studierte Internationale Betriebswirtschaftslehre und beschäftigte sich intensiv mit Wirtschaft und Finanzmärkten. Mit Matthias Weik hat er eine unabhängige Vermögensverwaltung gegründet, hält Seminare, Fachvorträge und schreibt Bücher. Das aktuelle Buch: «Kapitalfehler» – Wie unser Wohlstand vernichtet wird und wir ein neues Wirtschaftsdenken brauchen.

Marc Friedrich ist Ökonom und Autor
sentifi.com

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