Das Ende der Durststrecke

Nirgendwo war mit Aktien in diesem Jahr mehr zu verdienen als in den aufstrebenden Märkten. Wir zeigen, warum das so ist – und ob sich ein Aufspringen jetzt noch lohnt.

Text: Christian Euler

Damit hätte wohl niemand gerechnet. Zu den weltweiten Top-Performern in diesem Jahr zählt mit Brasilien ausgerechnet ein Land, das in einer schweren Krise steckt. Obwohl die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr voraussichtlich um rund vier Prozent zurückgehen dürfte, legte der brasilianische Leitindex Bovespa seit Jahresbeginn 46 Prozent zu.

Dicht dahinter folgt das russische Marktbarometer RTS mit einem Plus von 30 Prozent. Zum Vergleich: Der Swiss Market Index verlor bis zum 10. November rund ein Zehntel seines Wertes.

Börsianer rätseln: Handelt es sich nur um ein Strohfeuer oder ist es das Comeback der in den vergangenen Jahren arg vernachlässigten Schwellenländer? «Es wird Zeit für Anleger, die Schwellenländer neu ins Auge zu fassen», schrieb die Financial Times im September – während sie der grösste Geldverwalter der Welt, BlackRock, bereits im August auf «übergewichten» hochstufte.

Immerhin die Hälfte der vierteljährlich von Finanz und Wirtschaft befragten zehn Schweizer Vermögensverwalter hat ihre- Quote aufgestockt, vier von ihnen sind mittlerweile übergewichtet. Nicolas Peter von Aquila begründet dies mit der Stabilisierung des Wirtschaftswachstums und der attraktiven Bewertung. Im Unterschied zu den Industrieländern liegen in den aufstrebenden Märkten gegenwärtig sowohl die Kurs-Gewinn-, als auch die Kurs-Buchwert-Verhältnisse unter ihren historischen Mittelwerten. Unterstützend wirken zudem die gestiegenen Rohstoffpreise.

Deutliches Nachholpotenzial  Selbst der von vielen Auguren befürchtete Zinsanstieg in den Vereinigten Staaten muss sich nicht als Bremsklotz erweisen. Steigen die Zinsen jenseits des Atlantiks nur gemächlich, spricht das für eine fundamentale Erholung, die sich auch positiv in den Schwellenländern widerspiegeln sollte und mittelfristig zu einer Aufwertung der Kreditwürdigkeit führen könnte.

«Es ist das Zusammenspiel aus höherer Rendite bei fast gleichem Risikoprofil sowie das wachsende Bewusstsein, dass Emerging Markets nicht weniger stabil sind als etwa das Gebilde der EU», bringt es Hannes Boller, Senior Portfolio Manager bei Fisch Asset Management, auf den Punkt.

Trotz des Höhenfluges in diesem Jahr haben Aktien aus Schwellenländern noch viel Nachholbedarf. Zwar ist der MSCI Emerging Markets auf Basis US-Dollar bis Ende Oktober mit einem Plus von fast 14 Prozent fast achtmal stärker gestiegen als sein Pendant für die «Developed Markets», der sich mit 1,7 Prozent begnügen musste. Auf Sicht der vergangenen vier Jahre avancierte der MSCI World jedoch um rund 30 Prozent – während die Schwellenländer rund zehn Prozent einbüssten.

Seit dem 9. November beschäftigt die Finanzwelt nicht zu letzt die Frage, wie weit der neu gewählte US-Präsident Donald Trump die Märkte der Schwellenländer durchrütteln könnte. «Wir sind überrascht, wie gering die Marktreaktionen auf die Wahl waren», sagt Paul McNamara, der beim Vermögensverwalter GAM den Emerging Markets Fixed Income-Fonds verwaltet.

Mit Ausnahme von Mexiko – der Peso fiel um rund zehn Prozent – hielten sich die meisten Schwellenländerwährungen besser als im Nachgang des Brexit. Für besonders attraktiv hält McNamara diejenigen Schwellenländer, die nicht vorrangig vom Welthandel mit den USA abhängen, darunter Brasilien, Russland und die europäischen Regionen.

Nach Angaben des ETF-Anbieters Lyxor strömt immer mehr frisches Geld in Aktien-ETF der aufstrebenden Märkte: Allein im Oktober investierten europäische Anleger 876 Millionen Euro in Indexfonds auf Schwellenländeraktien, seit Jahresbeginn sind es 6,6 Milliarden Euro.

Grafik-Brennpunkt-09-2016

Vielseitige Anlagemöglichkeiten  Inzwischen sind an der Schweizer Börse über 35 ETF auf Emerging-Markets-Regionen und über zwei Dutzend Produkte auf einzelne Schwellenländer zugelassen.

Dass immer mehr Anleger auf diese effizienten Vehikel setzen, zeigen die Nettozuflüsse: Von Anfang Jahr bis Ende Oktober flossen insgesamt 27 Milliarden Dollar in Aktien-ETF auf Schwellenländer.

Der Grund liegt auf der Hand. So zeigt eine Analyse des Anbieters Source, basierend auf Daten der Fondsrating-Agentur Morningstar, dass im zurückliegenden Jahrzehnt 63 Prozent der aktiven Fondsmanager mit ihren Anlageergebnissen hinter der Performance des MSCI Emerging-Markets-Index zurückgeblieben sind.

Auch das angeblich schwache Geschlecht erwärmt sich zunehmend für die Emerging Marktes. «Zwar wird der grösste Teil der Vermögen nach wie vor in klassischen Anlagefonds geparkt, doch fliessen bereits neun Prozent in ETF – Tendenz steigend», lautet das Fazit der von der Six Swiss Exchange ausgerichteten Veranstaltung «Women in ETFs».

Unter den in der Schweiz kotierten Indexfonds weist der ETF von PowerShares auf den FTSE RAFI Emerging Markets Index (ISIN IE00B23D9570) eine überdurchschnittliche Performance auf. Das Börsenbarometer umfasst mehr als 330 Titel mit den höchsten fundamentalen RAFI-(Research Affiliates Fundamental Index) Werten aus dem FTSE Emerging All Cap Index.

Die wichtigsten fundamentalen Kriterien sind Dividende, frei verfügbarer Cashflow, Umsatz und Buchwert. Zu den grössten Positionen gehören Petrobras, die China Construction Bank und das brasilianische Finanzinstitut Unibanco. Die vergleichsweise aufwändige Selektion spiegelt sich in einer jährlichen Gesamtkostenquote von 0,65 Prozent wider.

Anlagemöglichkeiten  Der französische Anbieter Ossiam nutzt im Emerging Markets Minimum Variance NR (ISIN LU0705291903) die moderne Portfoliotheorie von Harry Markowitz, indem er über 100 Aktien mit den niedrigsten Kursschwankungen im Standard & Poor’s S&P IFCI-Index bündelt.

Die Quadratur des Kreises aus weniger Volatilität und mehr Rendite vermag er im Rückblick nicht ganz zu erreichen, doch schont er mit seiner um zwei Prozentpunkte niedrigeren Schwankungsbreite gegenüber dem S&P IFCI die Nerven – auch wenn der bessere Schlaf bisweilen an der Performance knabbert.

Für Anleger, die auf klassische Indizes mit Kapitalgewichtung setzen, sind an der Schweizer Börse derzeit ein Dutzend börsengehandelte Indexfonds auf den breiten MSCI Emerging Markets erhältlich. Der günstigste ETF ist mit einer Verwaltungsgebühr von 25 Basispunkten erhältlich. Das Barometer bildet 883 Aktienwerte aus 23 Nationen ab.


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