Kolumne
Thomas Della Casa  Leiter Vermögensverwaltung, Neue Helvetische Bank

Deflation- sei willkommen!

Die Angst vor der Deflation geht um. Doch wie das Beispiel Japan zeigt, ist die Deflation nicht unbedingt gleichbedeutend mit Krise.

Die Angst vor Deflation ist unbegründet. Denn wie Japan über die letzten 20 Jahre gezeigt hat, lebt es  sich gut mit ihr. Die Japaner kennen die Situation, wie man aus weniger mehr macht. In keinem anderen Land hat es bisher eine so lange Phase von Deflation gegeben. Wenn Preise fallen, geht die Angst um. Angst der Unternehmen, weniger zu verkaufen, Angst der Staaten, weniger einzunehmen, Angst der Privaten, ärmer zu werden. Vor allem letztere gehören zu den Verlierern, wenn sie auf ihren Anlagen keine Erträge erhalten.

Seit Ausbruch der Finanzkrise 2007 fürchten auch wir uns vor der Deflation. Ein langer Boom ging damals jäh zu Ende. Der Internationale Währungsfonds meinte lakonisch, die Deflation sei ein Hund, der nicht belle. Tatsache ist, dass wir ausser bei Steuern und Gebühren für den Staat in vielen Bereichen klare deflationäre Tendenzen feststellen können. Dieser Trend wie auch die hohen Staatsschulden werden uns lange erhalten bleiben. Gleichzeitig schwindet zusehends der Glaube, dass tiefe und negative Zinsen der Nationalbanken der Realwirtschaft nachhaltig helfen können.

Die Japaner haben diese Erfahrung bereits hinter sich und sich angepasst. Nachdem der Nikkei um 60 Prozent eingebrochen war, die Häuserpreise implodiert und die Zinsen massiv gesunken waren, hat sich ihr Ausgaben- und Investitionsverhalten grundlegend verändert. So beträgt heute der Anteil von Wertpapieren an den Gesamtersparnissen der Japaner nur 16 Prozent. Die Zinsen auf Sparanlagen sind noch niedriger als in Europa, sie  liegen nahe null. Trotzdem schrumpft das Kapital real nicht. Daran müssen sich die Europäer erst noch gewöhnen.

Die Japaner haben sich bereits seit langem damit abgefunden. Die Planbarkeit der Ausgaben bei einem stabilen Zins von null ist bedeutend leichter, als wenn Zinsen wild schwanken. Japanische Pensionäre greifen klug auf ihr Erspartes zurück und konsumieren vorsichtig. Solange die Deflation mild ist, kann jeder damit gut umgehen. Japanische Arbeitnehmer sind dagegen eher ausgabefreudig. Sie gönnen sich etwas: eine schöne Luxushandtasche, eine Auslandsreise oder ein Abendessen im Restaurant mit Freunden. Da die Bevölkerung immer stärker überaltert, traut man auch den Pensionskassen nicht mehr und bezweifelt zukünftige Auszahlungen. Investitionen in Immobilien werden vertagt, weil die Preise weiterhin fallen.

Trotzdem scheint es den Japanern, ob jung oder alt, recht gut zu gehen. Das Land galt noch vor 25 Jahren als extrem teures Pflaster. Damals konnte man sich ohne hohes Einkommen kaum eines guten Lebensstils erfreuen. Dies ist heute dank Nullzinsen und Deflation anders – besser! Da ihre Ersparnisse im internationalen Vergleich immer noch hoch sind, leben sie insgesamt im Wohlstand. Das tiefe Wirtschaftswachstum kann auch nicht direkt mit den sinkenden Preisen in Zusammenhang gebracht werden. Vielmehr ist Japan eine hoch entwickelte Gesellschaft mit Sättigungserscheinungen.

Viele japanische Unternehmen sitzen auf viel Liquidität und wissen nicht, wo sie diese intelligent investieren sollen. Deshalb werden übrigens viele japanische Unternehmen in den nächsten Jahren interessante Ausschüttungen tätigen. Zudem wird heute kaum bedacht, dass es eine hohe Korrelation zwischen Wirtschaftswachstum und Bevölkerungswachstum beziehungsweise zwischen schrumpfender Wirtschaftsleistung und einer insgesamt alternder Gesellschaft gibt. Deflation ist eben nicht unbedingt gleichbedeutend mit Krise.


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