Den Rohstoff-Spekulanten auf den Zahn gefühlt

Spekulanten gelten als Hauptverantwortliche für die starken Anstiege der globalen Rohstoffpreise. Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern Spekulationsverbote. Vor drohender Überregulierung warnt Ingo Pies, Professor für Wirtschaftsethik.

Text: Barbara Kalhammer

Herr Pies, Nahrungsmittelspekulationen sind das Thema der Stunde. Warum?

2008 und 2011 gab es starke Preisanstiege bei Agrarrohstoffen. Diese hatten Hungerrevolten rund um den Globus zur Folge. In den Entwicklungsländern geraten viele von Armut betroffene Menschen in existentielle Schwierigkeiten, wenn die Rohstoffpreise plötzlich nach oben schiessen. Schliesslich wenden sie weit über 50 Prozent ihres Budgets für Nahrungsmittel auf. In Europa machen sich solche Preissprünge weniger bemerkbar, da die Nahrungsmittelpreise bei uns nicht nur die Rohstoffkosten widerspiegeln, sondern viele andere Faktoren wie die hohen Personalkosten aus der Verarbeitung.

Wer ist für die hohen Preise verantwortlich?

Bei vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen und auch den Medien gibt es die Vermutung, die stark angestiegenen Finanzspekulationen seien der treibende Faktor. Die Wissenschaft sieht das anders.

Kann man den Einfluss der Spekulanten auf die Preise beziffern?

Man kann ihn nicht direkt beobachten. Daher wird versucht, ihn mit Modellen zu berechnen, die sämtliche Einflüsse beachten.Dazu zählten in den letzten vier Jahren Turbulenzen in der Weltwirtschaft, hohe Wechselkursschwankungen, Zinseffekte, starkes Geldmengenwachstum und makroökonomische Schocks. Speziell bei Agrarrohstoffen gab es markante Entwicklungen wie Dürren in Australien und den USA oder eine Ausweitung der BiospritProduktion. Der tatsächliche Einfluss der Spekulation kann nur geschätzt werden. Der wissenschaftliche Erkenntnisstand hierzu besagt, dass der Einfluss der Spekulanten, vor allem derjenige der Indexspekulanten, nicht besorgniserregend gewesen ist. Hier wird ganz deutlich Entwarnung gegeben.

Einige Banken haben sich komplett zurückgezogen. Der Beginn eines Trends?

Das kann ich nicht ausschliessen. Man sollte sich aber genauer ansehen, welche Institute sich zurückgezogen haben. In Deutschland waren es DekaBank, Landesbank BadenWürttemberg und Commerzbank. Banken mit einem starken staatlichen Engagement. Ihren Ausstieg sehe ich daher nicht notwendig als Schuldeingeständnis. Vielleicht haben sie nur leichter dem politischen Druck nachgegeben als andere.

Wenn Banken aussteigen, ist dies auch ein Signal für Privatanleger. Sind in diesem Bereich ebenfalls Änderungen zu erwarten?

Die Allianz, ein grosser Player im Rohstoffmarkt, vertritt die Auffassung, ihr Geschäft sei volkswirtschaftlich sinnvoll und moralisch unbedenklich. Engagements im Rohstoffbereich üben in der Tat eine sinnvolle Funktion aus, sie übernehmen die Aufgaben einer Versicherung. So können Risiken getragen werden, die andere nicht übernehmen wollen – und dafür wird man bezahlt. Das ist eine, auch in moralischer Hinsicht, nicht zu beanstandende Aktivität.

Trotzdem wird vermehrt eine Beschränkung oder gar ein Verbot gefordert. Ist das für Sie nachvollziehbar?

Die Transparenz bei Terminmarkt und Derivatgeschäften muss sich verbessern. In diesem Bereich hinkt Europa den USA hinterher. OvertheCounterGeschäfte beispielsweise sollten über ClearingStellen abgewickelt und anschliessend statistisch erfasst werden. Es ist wichtig zu wissen, wer in welchem Umfang Geschäfte tätigt.

Die Forderungen gehen noch weiter.

Positionslimits und der Marktausschluss von bestimmten Akteuren, genauer gesagt den nichtkommerziellen Händlern, insbesondere Indexfonds. Auch von Banken wird gefordert, dass sie sich ganz zurückziehen. Diese Forderungen sehe ich sehr skeptisch, sie würden eine Überregulierung bedeuten. In der Folge würden die Terminmärkte nicht besser funktionieren, sondern schlechter. Denn wenn langfristig auf eine weltweit steigende Agrarproduktion abgezielt wird, müssen wir für einegrössere Erwartungssicherheit sorgen.

Was konkret wäre das Problem eines überregulierten Rohstoffmarktes?

Die Bauern könnten ihre Produktion nur eingeschränkt absichern. Nämlich in dem Masse, wie kommerzielle Händler untereinander verschiedene Preisvorstellungen haben und sich wechselseitig versichern. Aber der Clou am Terminmarkt mit nichtkommerziellen Händlern ist die starke Erhöhung der Marktliquidität, wodurch die Absicherungsbedürfnisse der Agrarproduzenten erfüllt werden können. Würde man diese Teilnehmer verdrängen, würden viele Bauern auf ihren Preisrisiken sitzen bleiben.

In der Vergangenheit gab es bereits solche Verbote. Was waren die Folgen?

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu starken Preissteigerungen. Die Öffentlichkeit hatte die Schuldigen schnell ausgemacht: die «bösen» Spekulanten. 1897 wurde der Terminhandel von Weizen verboten. Innert Kürze geriet die Volatilität ausser Kontrolle. Das Verbot wurde drei Jahre später wieder aufgehoben.

Gibt es weitere Beispiele?

Die Kritik an Spekulanten taucht stereotyp immer dann auf, wenn es zu extremen Preisentwicklungen kommt. Ein Bespiel ist der Terminmarkt für Zwiebeln, der in den USA seit 1958 verboten ist. Da haben wir tagtäglich Anschauungsmaterial und können sehen: Die Volatilität für Agrarprodukte ohne Terminmarkt ist enorm hoch.

Auch in Extremsituationen wie Dürrenspielen Terminmärkte eine wichtige Rolle.

Eine erfolgreiche Spekulation dient üblicherweise dazu, die Knappheit optimal auf die verschiedenen Zeiträume zu verteilen. Bei drohender Dürre besteht die wichtigeFunktion des Terminmarkts darin, diese negative Botschaft möglichst schnell in Preise umzusetzen, die verhaltensrelevant werden. Als Folge steigt der Preis schon heute, und die Menschen gehen sparsamer mit den zurzeit noch nicht knappen Nahrungsmitteln um. Tritt die Knappheit durch Ernteausfälle dann tatsächlich ein, steht immer noch genug vom jeweiligen Rohstoff zur Verfügung.

Was haben die Ausnahmeregelungen der WTO, in Notsituationen Exportverbote zuerlassen, bewirkt?

Mit den Ausnahmeregelungen sollten der eigenen Bevölkerung die vor Ort hergestellten Nahrungsmittel gesichert werden. Die Erfahrungen, die wir mit diesen Regelungen gemacht haben, sind meiner Meinung nach katastrophal. In den Krisenjahren haben wichtige agrarexportierende Staaten Verbote erlassen. Damit haben sie massiv dazu beigetragen, das Problem zu verschärfen. Als Indien den Export von Reis und Russland den Export von Weizen eingestellt hat, sorgte das für Panik im Markt. Als Reaktion haben andere Staaten versucht, eigene Lager aufzubauen. Das trug dazu bei, dass die Preissteigerungen noch angetrieben wurden.

Wie kann die Situation verbessert werden?

Die Finanzmärkte sollten hinsichtlich Transparenz reguliert werden. Gedanken sollten wir uns auch zur BiospritFörderung machen. Sie wurde in einer Zeit ausgedehnt, in der die globale Nahrungsmittelsituation sehr angespannt war. Ich nenne das «ökologischen Eurozentrismus». In Zukunft sollten solche Massnahmen auf die globale Ernährungslage abgestimmt werden. Vor allem aber müssen wir das Angebot steigern. Das erfordert mehr Forschung und KnowhowTransfer

Prof. Dr. Ingo Pies ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg.
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