«Die Schweiz steckt im Dilemma – erhöht sie die Zinsen, steigt die Währung»

Die Zinsen werden weiter steigen, soviel steht fest. Doch offen ist, wie rasch und wie stark. Stephen Jones von Kames Capital erklärt im Interview, worauf sich Anleger einstellen müssen.

Text: Rino Borini

Der Anleihen-Bullenmarkt geht dem Ende zu. Man sagt, dass Schotten geizig sind. Für Sie stehen also schreckliche Zeiten von steigenden Zinsen und sinkenden Erträgen bevor.

Stephen Jones  Davon sind wir weit entfernt. Investoren unterschätzen den Performancebeitrag von festverzinslichen Werten für 2014. Diese liegen deutlich über der Verzinsung von Cash. Wir werden noch geraume Zeit keine aggressiv steigenden Zinsen sehen.

Wie kommen Sie zu dieser Meinung?

Dafür sprechen die tiefe Inflation, das verhaltene Wirtschaftswachstum sowie die Strategie der Zentralbanken. Letztere dürften sich noch einige Quartale Zeit lassen, um die Zinsen anzuheben. In der Zwischenzeit bieten Obligationen eine brauchbare Rendite in einer «renditelosen» Welt. Nicht zu vergessen ist das Diversifikationspotenzial in einem Gesamtportfolio.

Dennoch, die Zinsen haben sich – relativ betrachtet – verdoppelt.

Die Zinsen werden irgendwann steigen. Investoren, die aufgrund dieser Tatsache das Ende der Welt predigen, haben unberechtigte Ängste.

Fed-Chefin Yellen kündigt für 2015 höhere  Leitzinsen an. Kommt es zu einem nachhaltigen Zinsanstieg?

Wir befinden uns in einer Zeit der langsamen Erholung aus einer schweren Finanzkrise. Die USA und das Vereinigte Königreich sind in diesem Prozess etwas weiter; eine leichte Erhöhung  der Zinsen in diesen Märkten bis und mit 2015 ist ein realistisches Szenario.

Von welchen Zahlen sprechen wir hier?

Wir reden lediglich von 0,5 bis 1,0 Prozentpunkten. Europa ist immer noch im Entschuldungs-Modus mit einem schrumpfenden Finanzsektor, der den Erholungsprozess verlangsamt. Eine Erhöhung der Euro-Kurse in naher Zukunft ist unwahrscheinlich.

Die Ökonomen sind sich ausgesprochen uneins in der Frage, wann die Zeit der mickrigen Zinsen vorbei ist. Blicken wir auf die Schweiz – ihre Meinung?

Die Schweiz steckt in einem Dilemma. Erhöht sie die Zinsen, steigt die Währung. Ein solcher Schritt kommt erst in Frage, wenn die Zinsdifferenz im Vergleich zu anderen Währungsräumen dies zulässt. Die Schweiz wird folglich warten, bis die Europäische Zentralbank (EZB) entsprechende Schritte unternommen hat.

Werfen wir einen Blick auf Europa.

Die EZB hat gegen Ende des letzten Jahres die Zinsen sogar gesenkt. Derzeit besteht für die EZB angesichts der tiefen Inflation und des starken Euros wenig Druck, die Zinsen vor 2016  anzuheben.  Anders die US-Volkswirtschaft, deren Erholung einen, wenn auch kleinen, Zinsschritt im 2015 ermöglichen wird. Die Zentralbanken werden weltweit das Wachstum unterstützen und allfällige Lücken in der Kapazität der Volkswirtschaften schliessen – das bedeutet, sie werden das Zinsniveau länger tief halten als viele erwarten.

Welche Folgen erwarten Sie, wenn sich die Notenbanken nicht mehr im Gleichschritt bewegen?

Das Zinsniveau wird erst dann steigen, wenn die Erholung genügend robust ist. Die Chancen dafür stehen in den USA und Vereinigten Königreich gut. Zu erwarten ist ein starker US-Dollar  und ein stärkeres britisches Pfund, das einhergeht mit Bewegungen auf der Zinskurve mit Fokus auf 5-jährige Laufzeiten.  Nichts Dramatisches und auf keinen Fall
etwas Kritisches.

Wenn die Zinsen in den USA steigen, könnten sie auch in Europa nach oben klettern. Doch ist Europa robust genug für steigende Zinsen?

Der Schritt, die Zinsen zu senken, wurde nicht koordiniert, ausser im Höhepunkt der Finanzkrise. Der Entscheid, die Zinsen zu erhöhen, hängt massgeblich von den individuellen  Marktbedingungen in den Regionen ab. Europa ist sicher noch nicht in der Lage, ein höheres Zinsniveau zu verkraften, so dass sich die EZB veranlasst sieht, die Banken weiterhin mit Ausleihungen zu extrem tiefen Sätzen zu versorgen.

Für gewöhnlich sind steigende Zinsen Gift für Aktienmärkte. Bremsen sie die Rallye aus?

Es wird mehrere Zinsschritte brauchen, um die Aktienmärkte unter Druck zu bringen. Die Ausgangslage ist, dass die Zinsen erst steigen werden, wenn die wirtschaftliche Entwicklung dies rechtfertigt. Letzteres setzt voraus, dass die Unternehmensgewinne steigen, die Banken wieder vermehrt Fremdkapital zur Verfügung stellen und dadurch auch die Geldmenge wächst.  Zudem sollte die Zuversicht so gross sein, dass auch M&A-Aktivitäten wieder anziehen.

Was bedeutet all dies für die Anleihenmärkte? Sollten Obligationen überhaupt noch bis zu ihrer Fälligkeit gehalten werden?

Obligationen sind keineswegs aus der Mode geraten. Über ein Jahr haben Corporate Bonds in Euro rund 4 Prozent rentiert. High Yield Bonds können es mit den Aktienmärkten  aufnehmen, haben sie doch 11 Prozent zugelegt. Am unteren Ende finden sich Schwellenländeranleihen, doch auch hier ist der Verlust mit 3 Prozent moderat ausgefallen.

Wie sollen sich Investoren bei einer Neuordnung der Zinswelt positionieren?

Die Ausgangslage ist für uns klar. Anleihen werden Cash weiterhin übertreffen. Corporate Bonds sind Staatsanleihen vorzuziehen. Es ist sinnvoll, beide Anlgen in einem flexiblen  Investitionsfonds zu halten, welcher dem Manager die Freiheit gibt, sich bei allen Laufzeiten so zu bewegen, wie es die Veränderung des Umfelds erfordert. Anleihen bleiben eine  wertvolle Ergänzung für jedes Portfolio und eine gute Investitionsmöglichkeit in einer instabilen Welt.

Stephen Jones ist Chief Investment Officer bei Kames Capital. Davor war er als Co-Leiter für das Fixed-Income-Team von Kames verantwortlich.
sentifi.com

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