Guy Spier im Gespräch: «Wir segeln in historisch unerforschten Gewässern».

Mit seinem Aquamarine Fonds schafft Guy Spier seit zwanzig Jahren das, was alle aktiven Fondsmanager wollen: Er übertrifft seine Benchmark. Der Wahlschweizer über verschwendete Gehirnzellen, den Umgang mit Superreichen und die Macht der Notenbanken.

Text: Christian Euler
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Wenn er über seine Anlagen nachdenkt, liegt Guy Spier gern auf der Couch. Quasi liegend führt er also seit bald zwanzig Jahren seinen Aquamarine Fund – mit grossem Erfolg: Der Fonds erwirtschaftete in diesen Jahren eine Rendite von 505 Prozent, knapp 230 Prozentpunkte mehr als der amerikanische S&P 500-Index. Die verwalteten Vermögen kletterten von 15 auf rund 210 Millionen Dollar.

Der Autor des Buches «Die Lehr- und Wanderjahre eines Value-Investors» absolvierte seinen MBA 1993 an der renommierten Harvard Business School, zuvor studierte er Politik, Philosophie und Ökonomie an der Oxford University. Spier wurde über Nacht berühmt, als er bei einer Auktion ein Abendessen mit Warren Buffett ersteigerte: Zusammen mit einem Freund, Mohnish Pabrai, hatte er mit 650 100 Dollar das höchste Gebot abgegeben. Der 51-Jährige lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Zürich.

Guy Spier, in diesem Oktober könnte der eine oder andere Herbststurm über die Märkte fegen. Müssen wir uns deswegen Sorgen machen?

Man darf sich nicht von überholten Börsenregeln oder Saisonalitäten wie «Sell in May and go away» ablenken lassen. Wenn man auf den richtigen Zeitpunkt wartet, kann es passieren, dass man die lukrativsten Aufwärtsphasen verpasst. Diese ereignen sich nämlich unangekündigt und oft innerhalb kürzester Zeit. Mein Rat lautet daher: Bleibe im Markt! Ausserdem will ich nicht meine Gehirnzellen auf solche Dinge verschwenden. Ich habe so wenige davon, dass ich sie nur für die wichtigen Dinge benutzen kann.

Klingt stark untertrieben.

Die frühere israelische Premierministerin Golda Meir sagte einmal: «Sei nicht so bescheiden, dafür bist du nicht bedeutend genug» (lacht).

Ganz und gar unbedeutend sind Sie aber nun auch nicht.

Mein Buch hat mich bekannt gemacht und das habe ich eineinhalb Jahre lang genossen. Ich wollte die Verkäufe meins Buches steigern helfen, gab Interviews, trat im Fernsehen auf et cetera.

Und machte das Spass?

Das hat mir Spass gemacht, aber ich habe schnell gespürt: Es ist eine Sackgasse. Die Bekanntheit machte mich nicht weiser, klüger investieren konnte ich auch nicht. Mit der Bekanntheit ist es wie bei Narziss: Beim Trinken aus einem See verliebte er sich in sein Spiegelbild und ertrank bei dem Versuch, es zu umarmen.

Mit Ihrem Aquamarine-Fonds sind Sie nach wie vor bekannt. Wie schaffen Sie es, den amerikanischen S&P-Index dauerhaft zu schlagen?

Es gibt keine Patentlösung, es ist vielmehr ein schwerer Weg, auf dem man auch über längere Zeit mit schlechten Ergebnissen leben muss. Mich beschleicht immer wieder das Gefühl, dass ich der dümmste Mann der Welt bin. Gleichzeitig versuche ich mich an das zu halten, was ich von Warren Buffett und Benjamin Graham gelernt habe: langfristig agieren und Titel finden, die ich lange halten kann. Dabei gibt es kein Erfolgsgeheimnis. Es ist wie beim Fahrradfahren, über das der frühere Tour-de-France-Sieger Greg Lemond einmal sagte: «It never gets easier, you just go faster.» Man muss Tag für Tag versuchen, ein wenig besser zu werden, ohne Wenn und Aber.

Und wie wird man besser?

Zum Beispiel, indem man unterbewertete Titel kauft, ein besseres Managementteam findet oder ein gutes Geschäftsmodell zu einem günstigen Preis bekommt. Das ist harte Arbeit.

Wie entstehen Ihre Anlageideen?

Ich suche am liebsten da, wo andere nicht suchen. Manchmal habe ich das Gefühl, ich habe etwas gefunden, das die Welt noch nicht kennt. Aber das ist in den vergangenen zwei, drei Jahren nicht vorgekommen – und das ist frustrierend. Mich erstaunt selbst, wie wenig Neues ich in dieser Zeit getan habe. Trotzdem laufe ich keinen Trends hinterher. Immer wieder wurde mir geraten, bei Facebook, Google & Co. einzusteigen – und ich hatte das Gefühl, hinter den anderen Marktteilnehmern herzuhinken, wenn ich nicht dabei bin. Aber auf dieser Basis sollte man nie investieren. Nie, nie, nie! Ein guter Freund in London hat mir vor vielen Monaten eine ganze Stunde lang erklärt, warum Amazon ein klarer Kauf ist. Trotzdem konnte ich mich nicht überwinden, die Aktie zu kaufen.

Ärgert Sie das nicht, wenn Sie auf den aktuellen Kurs der Amazon-Aktie schauen?

Es tat sehr bald weh, und es tut immer noch weh! Aber als Value-Investor muss man bereit sein zu leiden und dem Schmerz nicht aus dem Weg zu gehen. Im Grunde muss man Stoiker sein. Dazu passt auch, was Warren Buffetts Geschäftspartner Charlie Munger sagt: Man sollte nicht traurig sein, wenn andere Leute reicher werden. Es ist Teil des Lebens.

Würden Sie sich als Stoiker bezeichnen?

Ich muss zugeben, nicht genügend über diese Philosophie gelesen zu haben. Aber ich glaube, ich strebe in diese Richtung.

Eher dem Lustprinzip der Epikuräer nahezukommen scheint Ihr Lunch mit Warren Buffett. Zusammen mit Ihrem Freund Mohnish Pabrai haben Sie dafür 650 100 Dollar bezahlt. Hat sich der horrende Preis für Steak und Pommes gelohnt?

Man darf das nicht mit der Erwartung an eine Rendite verbinden. Wir waren mit unseren Familien drei Stunden lang bei einem der reichsten Menschen der Welt. Ich beobachtete ihn und lernte, ihn besser zu verstehen. Zudem habe ich erfahren, wie man mit reichen Leuten umgeht und konnte dadurch mein Netzwerk ausbauen. Überhaupt: Ich habe Dinge gelernt, die in keinem Buch stehen.

Welche zum Beispiel?

Man sollte nicht einmal eine Millisekunde der Zeit der Superreichen verschwenden. Es wäre dumm, Ihnen Fragen zu stellen, die auch ihre Sekretärin beantworten könnte. Überdies wollen auch mächtige und reiche Menschen in ihrem Selbstwert bestätigt werden. So sagte ich Warren Buffett, wie dankbar ich für das bin, was ich von ihm gelernt habe. Auch wenn er tausendmal gehört haben mag, es ist das trotzdem ein Geschenk für ihn. Am besten schreibt man so etwas aber in einem Brief, den können Menschen wie er lesen, wenn sie Zeit dafür haben. Aber man muss vorsichtig sein: Diese Leute sind sehr sensibel, man kann sie schnell verletzen.

Möchten Sie noch einmal einen Lunch mit ihm ersteigern? Das kann ich mir sehr gut vorstellen.

Wie geht es bei Berkshire Hathaway weiter, wenn Warren Buffett und Charlie Munger nicht mehr da sind? Was Warren Buffett aufgebaut hat, hat auch darüber hinaus Bestand. Sein grossartiges Geschäftsmodell hat sich etabliert, es wird sich nicht viel ändern. Charlie Munger schätzen übrigens viele Leute mehr als Warren Buffett. Übrigens: Er ist ein echter Stoiker.

Wie geht es an den Finanzmärkten weiter?

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Zinsen steigen. Die Frage ist nur, wie das passiert. Erst kürzlich haben die Notenbankchefs Yellen, Draghi & Co. wieder bestätigt, dass die Zinsen erst steigen, wenn es Inflation gibt. Der beste Schutz gegen Inflation sind Aktien. Rage, höhere Zinsen ohne Inflation, dann Aktien verkaufen. Bei Inflation mit höheren Zinsen sehe ich keinen Grund, warum die Kurse fallen sollten. Daher bin ich voll investiert. Langfristig Aktien zu halten ist besser als Anleihen oder Bargeld. Wichtig ist aber, selektiv vorzugehen.

Zum Beispiel auf die richtigen Branchen setzen.

Viele Gesellschaften werden von der New Economy überrollt, nicht nur die Einzelhändler. Aber es gibt Branchen, die gute Jagdgründe sind: Chemie, Pharma, Nahrungsmittel, Bau und Baustoffe etwa. Auch Finanzdienstleister wie die Ratingagenturen Moody’s und Standard & Poor’s gefallen mir gut.

Welche Regionen ziehen Sie vor?

Die entwickelten Märkte sind ausserordentlich schwierig und ziemlich abgegrast, während die Schwellenländer ihre eigenen Probleme haben. Trotzdem verbringe ich mehr Zeit damit, Emerging Markets wie Indien unter die Lupe zu nehmen. Indien ist ein sehr interessanter Markt. Aktuell bin ich dabei, mir in Indien eine Lizenz für Aktien aus der zweiten und dritten Reihe zu besorgen. Es sind manche erstklassige Unternehmen dabei, aber auch viele Nieten.

Sind Rohstoffe und Gold eine Beimischung wert?

Mit Blick auf Gold halte ich es mit Warren Buffett: Es ist ein nutzloses Metall. Sie können es nur anschauen. Das ist das Einzige, was Sie damit tun können. Rohstoffe sind ein wenig besser, weil sie in der Industrie eingesetzt werden können. Aber die wirklichen Motoren des Wohlstands sind diejenigen Unternehmen, die werthaltige Waren und Dienstleistungen liefern. Ich ziehe es daher vor, in Gesellschaften wie Kraft Heinz, Nestlé oder Mondelez statt in Rohstoffe zu investieren. Sie produzieren Nahrungsmittel in einer Form, die die Menschen in ihren Händen halten wollen – und sie schaffen enormen Wohlstand.

Wie sieht es bei Minengesellschaften aus?

Ein Blick auf unterbewertete Minengesellschaften könnte sich lohnen. Ich habe grössten Respekt vor der kanadischen Teck Cominco und ihrem Chef Don Lindsay, den ich ein paar Mal getroffen habe. In diese Aktie habe ich allerdings noch nie investiert. Zwei Bergbaufirmen, die ich schon in meinem Depot hatte, sind Fortescue Metals und Potash of Saskatchewan, der weltgrösste Produzent von Kali, das für die Landwirtschaft extrem wichtig ist.

Welche Aktien können Anleger aktuell bedenkenlos kaufen und im Portfolio liegenlassen?

Leider werden häufig gerade die Firmen mit den attraktivsten Geschäftsmodellen nicht öffentlich gehandelt, Airbnb und Uber zum Beispiel. Viele börsennotierte Unternehmen sind dafür irrwitzig teuer. Mit Aktien wie Berkshire Hathaway oder auch Nestlé fühle ich mich aber sehr wohl. Beide sind auch in meinem Fonds. Ich glaube, dass auch das Duo John Elkann und Sergio Marchionne bei Fiat Chrysler und Ferrari einen sehr guten Job macht.

Was halten Sie von Schweizer Aktien?

Die Schweiz hat einige Weltklasse-Unternehmen wie Nestlé oder Lindt und Sprüngli, aber auch viele Blindgänger. Daher ist es schwer zu verallgemeinern. Wichtiger ist, dass die Schweiz klar signalisiert, was sie haben möchte. Derzeit gibt es eine Gratwanderung zwischen einem Ansatz, der Insider und Hauptaktionäre auf Kosten der Kleinanleger hofiert wie kürzlich im Fall des Baukonzerns Sika – und einer Herangehensweise, die auf der Seite der privaten Investoren steht. Ich stehe ganz klar auf der Seite des breiten Anlegerpublikums.

Und das heisst?

Alle Anteilseigner sollten gleich behandelt werden, egal ob sie Hauptaktionäre sind oder nicht. Zudem muss die Schweizer Börse ihre Auflistungsanforderungen verschärfen. Warum soll es hier nicht die gleichen Kotierungsvoraussetzungen wie in den USA geben?

Die Notenbanken haben die Märkte mit Billionen gedruckten Dollars aus der Finanzkrise geführt. War das die richtige Medizin?

Was die Zentralbanken betreiben, ist die totale Manipulation. Sicherlich ist es wichtig, die Entwicklung der Geldpolitik zu beobachten. Ich kann sie aber nicht beeinflussen, sondern mir nur eingestehen: Wette niemals gegen die Zentralbanken! Ihre Macht ist zu gross, sie können die Märkte immer drehen, in welche Richtung sie auch wollen.

Können die Notenbanken ihre aufgeblähten Bilanzen entlasten, ohne die Börsen zu gefährden?

Das ist die entscheidende Frage. Wir sind in historisch unerforschten Gewässern, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es durch Inflation geschieht. Sollte sie stark steigen, wird das die Märkte zweifellos stark beeinflussen.

Aber der Effekt ist unterschiedlich, oder?

Ja. Während inflationsgeschützte Aktien wie Banken oder Kreditkartenfirmen steigen würden, hätten Unternehmen mit umfangreichen Investitionen und wenig Preissetzungsmacht Schwierigkeiten. Doch wir sollten uns vor Augen halten, dass wir in Japan seit einer ganzen Generation auf die Inflation warten – aber nichts ist passiert. Gleichwohl ist es ist schwer vorauszusagen, wie sich die Märkte entwickeln. Daher ziehe ich es vor, nicht allzu viele Gehirnzellen darauf zu verschwenden.

Wem würden Sie Ihr Geld anvertrauen, wenn Sie kein Fondsmanager wären?

Zunächst sollte diese Person auch ihr eigenes Kapital investieren. Damit schliessen Sie schon die meisten Kandidaten aus. Dann sollte das Erste, an was sie nach dem Aufwachen denken, das Anlageinstrument sein, in dem mein Geld liegt. Zudem sollte der Portfoliomanager seinen Job nicht allein für seinen Lebensunterhalt ausüben müssen. Zu guter Letzt sollte der Vermögensverwalter seine Sache gut machen und das «Fiduciary Gene» haben, also wie ein Treuhänder handeln und denken.

Was möchten Sie unseren Lesern besonders ans Herz legen?

Aktien leer zu verkaufen oder auf fallende Kurse zu setzen, ist eine sehr schlechte Idee. Ich werde das nie tun, weil es langfristig die Rendite zu stark beeinträchtigen kann. Ein Freund hatte bei Tesla auf fallende Notierungen gesetzt. Ich würde das nie tun. Oder nehmen Sie Leute, die einfach den Index kaufen. Die sind schon aus dem Spiel. Sie müssen langfristig denken. Meine Investments sind alle auf mindestens fünf Jahre angelegt. Die wichtigste Regel lautet: Am Ende gewinnen immer die Geduldigen über die Ungeduldigen.

 

*Guy Spier absolvierte seinen MBA 1993 an der Harvard Business School, zuvor studierte er Politik, Philosophie und Ökonomie an der Oxford University. Der 51-Jährige lebt in Zürich. Spier ist Gründer und Managing Partner der Investmentgesellschaft Aquamarine Capital, welche dieses Jahr ihr zwanzigjähriges Bestehen feiert.


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