Kolumne
Erwin Heri  Professor Finanztheorie, Universität Basel

Höchststände an den Märkten – na und?

Fundamentale Unternehmensdaten spielen bei der Entwicklung der Märkte eine entscheidende Rolle. Doch über kurzfristige Perioden scheint es, dass sich Entwicklung von der realen Wirtschaft abgekoppelt hat – ein Trugschluss?

In den letzten zwei Jahren hat die Aktienentwicklung erneut viele Anleger überrascht. An verschiedenen Orten schreiben wir historische Höchststände. Und wieder lecken die Katastrophen-Gurus ihre Wunden. Nicht weil die Katastrophen nicht eingetroffen wären, sondern weil sie – wenn sie ihren eigenen Aussagen trauen – nicht investiert waren. Längerfristig orientierte Anleger, die eine fundamental- und auch historisch-orientierte Sicht haben, sind weniger erstaunt.

Indizes sind trendbehaftete Zeitreihen, die der langfristigen Entwicklung der Unternehmensgewinne nachlaufen. Und trendbehaftete Zeitreihen erklimmen immer wieder Höchststände. Dennoch reiben sich viele die Augen, wenn wieder ein Zwischenhoch erreicht wird. Der Grund für die Unsicherheit ist einfach. Einbrüche lassen einen jeweils zweifeln, dass der langfristige Trend auch wirklich real und nachhaltig ist.

Während die langfristigen Kursgrafiken von weitem betrachtet den Trend visuell bestätigen, zeigen sie von nahem – über kurzfristige Perioden – ein chaotisches Bild. Darum wird auch immer wieder behauptet, die Börse hätte sich von der realen Wirtschaft abgekoppelt. Entsprechend solle man bei der Geldanlage auch nicht auf wirtschaftliche Regularitäten setzen, sondern die Opportunitäten dort ergreifen, wo sie sich bieten.

Auch ökonometrische Untersuchungen zeigen, dass der Beitrag fundamentaler Unternehmensdaten zur Erklärung kurzfristiger Aktienkursentwicklungen eher gering ist. Daher ist es sinnvoll, sich auf die längerfristige Analyse zu konzentrieren. Hier zeigen Studien, dass der Verlauf durchaus das Wertschöpfungspotenzial der Unternehmen abbildet. Solche Horizonte spielen aber keine Rolle für jene, die den raschen Kick suchen oder auf einen kurzfristigen Hype setzen. Für sie bleibt die Kursentwicklung oft chaotisch.

Dies eröffnet zwei Fragen, nach den Determinanten des langfristigen Trends und nach der Bedeutung der Unternehmensdaten im «kurzfristigen Chaos». Der langfristige Trend ist das Ergebnis des wirtschaftlichen Erfolges der letzten Jahrzehnte. Er repräsentiert die Fortschritte im wirtschaftlichen, sozialen und politischen Gefüge und die Innovationskraft der Firmen. Wird sich dies fortsetzen? Wer an die Fantasie und die Innovationskraft künftiger Generationen glaubt und meint, dass die permanente Suche nach neuen Produkt- und Prozessmöglichkeiten erfolgreiche Unternehmen hervorbringt, zweifelt nicht an der längerfristigen Entwicklung. Kann man davon profitieren? Jene, die begriffen haben, dass Aktien eine Langfristanlage sind, profitieren längst.

Und das «kurzfristige Chaos»? Es hat damit zu tun, dass die Kurse nicht das gegenwärtige Umfeld oder die aktuellen Kennzahlen des Rechnungswesens abbilden, sondern die entsprechenden Erwartungen, beispielsweise über den Erfolg eines neuen Produktes und dessen Wirkung auf Gewinn und Bilanz. Solche Erwartungen sind sehr volatil. Wird die kurzfristige Aktienmarktdynamik von diesen getrieben, wird sie ebenfalls volatil. Damit hat sie sich aber noch lange nicht von den ökonomischen Gegebenheiten verabschiedet. Profitieren kann nur, wer kurzfristig bessere Erwartungen bilden kann als «der Markt», also, als alle anderen Mitkonkurrenten in diesem globalen «Spiel».

Wer aus den Überlegungen schliesst, der Index müsse Ende Jahr höher notieren als heute, hat die Argumente nicht verstanden. Aber das heutige Niveau wird nicht der letzte Höchststand sein.


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