Nachhaltiges Anlegen kommt nicht vom Fleck

Das Anlagethema Nachhaltigkeit gewinnt zwar laufend an Bedeutung, doch der grosse Schub lässt weiterhin auf sich warten. Der Grund: Es fehlt an einem einheitlichen, global anerkannten Standard. Ohne diesen wird das Thema weiterhin einen schweren Stand haben.

Text: Barbara Kalhammer

Ökostrom, Elektroauto, Bio-Lebensmittel – im Alltag ist Nachhaltigkeit schon länger omnipräsent. Auch die Politik nimmt sich des Themas regelmässig an – so wie kürzlich an der UN-Klimakonferenz in Paris, als die Grenzwerte der CO2-Emissionen neu definiert wurden.

Im Anlagebereich ist Sustainability ebenfalls Thema, wenn auch nur am Rande: «Globale demographische und ethnische Entwicklungen, aber zunehmend auch regulatorische Anforderungen in Hinblick auf Nachhaltigkeit erhöhen den Druck für Unternehmen. Zwar sind Standards noch nicht einheitlich definiert, dennoch müssen sich Unternehmen immer mehr mit der Thematik auseinandersetzen», sagt Sven Württemberger, Leiter iShares Deutschschweiz. Aus Investitionssicht sei es noch ein Nischenthema, das aber langfristig an Stellenwert gewinnen werde.

Immerhin wird in den USA inzwischen jeder sechste professionell verwaltete Dollar nachhaltig investiert. Doch der Begriff Nachhaltigkeit im Finanzbereich wird ähnlich inflationär verwendet wie im Alltagsbereich. So umfasst er ein breites Repertoire: Umweltthemen, Ethik, Konfliktfreiheit bis hin zu sozialer Verantwortung und Gleichberechtigung – sie alle werden unter dem Prädikat nachhaltig eingeordnet.

Hauptsächlich gemeint sind jedoch Investitionen, die der Prüfung nach den weltweit anerkannten ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) standhalten. Es wird also nicht nur die finanzielle, sondern auch die gesellschaftliche und ökologische Rendite betrachtet.

Breites Angebot

Die Nachfrage nach solchen Produkten steigt laufend: Zwischen 2012 und 2014 wuchsen die nachhaltig verwalteten Vermögen global um 61 Prozent auf 21,4 Billionen Dollar. Häufig sind institutionelle Investoren der Hauptgrund für das Wachstum. So beispielsweise in Deutschland, Belgien, Grossbritannien, Frankreich und Skandinavien, wo Pensionsfonds gesetzlich verpflichtet sind, nachhaltig zu investieren.

Auch hierzulande investieren vor allem Institutionelle nachhaltig: Gemäss Daten des Forums Nachhaltige Geldanlagen machen sie mehr als 60 Prozent aus. Insgesamt betrugen die Vermögen nachhaltiger Investitionen in der Schweiz Ende 2014 71,3 Milliarden Franken. Die Hälfte davon ist in Fonds und ETF investiert. Entscheidend für die Nachhaltigkeitsqualität sind die Kriterien und die Methodik.

Hier bieten ETF einen klaren Vorteil: Da sie einen Index eins zu eins abbilden, kennen Anleger nicht nur ihre genaue Zusammensetzung, sondern auch das Regelwerk und die Selektionskriterien des Indexanbieters. «Es gibt viele Indizes, die das Thema günstig und breit abbilden», bestätigt Raimund Müller, verantwortlich für den Vertrieb der UBS-ETF in der Schweiz und Liechtenstein.

Die Spreu vom Weizen trennen

Es gibt unterschiedliche Methoden, nach denen die Indexbestandteile ausgewählt werden. Am verbreitetsten sind Ausschlusskriterien, aufgrund deren Unternehmen aus dem Index verbannt werden. Dazu zählen Aktivitäten in den Bereichen Rüstung, Alkohol und Tabak, Glücksspiel, Waffen und Pornografie. Einen anderen Weg wählt der Best-in-Class-Ansatz, der die Unternehmen nach ökonomischen, ökologischen und sozialen Kriterien beurteilt.

Je besser sie im Vergleich mit ihren Konkurrenten abschneiden, desto höher werden sie gewichtet. Der am höchsten bewertete ist «best in class» – Klassenbester. Nach diesem Ansatz erfolgt die Selektion des Dow Jones Sustainability Index (DJSI). Da es in jeder Branche einen Klassenbesten geben muss, finden auch kontrovers diskutierte Unternehmen Einzug.

Dieses Vorgehen ist umstritten, da es aufgrund der Sektorenneutralität zwar eine breitere Diversifikation ermöglicht, jedoch auch ein höheres Risiko birgt. Im US-Markt sind beispielsweise Waffen und Tabak stark vertreten. Dazu kommt, dass einzelne Unternehmen in verschiedenen Bereichen tätig sind: Boeing beispielsweise produziert nebst Flugzeugen auch Geräte, die als Waffen einsetzbar sind.

Für Schlagzeilen sorgte der Selektionsansatz des DJSI 2010, als der Klassenbeste ein alter Bekannter war: der Ölkonzern BP. Als es auf der Ölbohrplattform Deep Horizon kurz darauf zu Explosionen kam und der Golf von Mexiko stark verschmutzt wurde, wurde BP aus dem Index geworfen – und durch Halliburton ersetzt. Vom Regen in die Traufe sozusagen, denn auch Halliburton war an der Katastrophe im Golf von Mexiko beteiligt.

In der Praxis wird meist eine Kombination beider Ansätze gewählt. Die Produkte von iShares beispielsweise kombinieren Ausschlusskriterien mit einem Best-inClass-Ansatz. Trotzdem schaffen es Titel wie Royal Dutch Shell, BHP Billiton oder Glencore in den iShares Dow Jones Global Sustainability Screened ETF. Strenger ist das Vorgehen des MSCI World Socially Responsible Index: Hier sucht man oben genannte Unternehmen vergebens, sie wurden ausgeschlossen. Auch MSCI arbeitet mit den bekannten ESG-Kriterien: «Ähnlich wie Länderratings werden die Bewertungen der Unternehmen anhand der ESG-Kriterien erstellt. Aufgenommen werden nur Firmen von AAA bis A», erklärt Müller.

Beliebte Themen

Neben den breit gefassten Indizes gibt es zahlreiche Einzelthemen, in die investiert werden kann. Dazu zählen beispielsweise erneuerbare Energie, umweltfreundliche Technologien, Wassernutzung oder Emissionsrückgang. Besonders Privatanleger hegen laut Müller oft eine Vorliebe für diese Themen.

Solche Themeninvestments dürften in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen. ETF-Anbieter sind sich einig, dass in diesem Segment am ehesten Alpha generiert werden kann und Anleger daher vermehrt zu Fonds greifen. Nachhaltigkeit als Ganzes hingegen wird mittels ETF abgedeckt, wie der UBS-Experte weiss.

Das Angebot an nachhaltigen Anlagemöglichkeiten wird in den kommenden Jahren weiter wachsen. iShares rechnet neben Aktienprodukten vor allem im Anleihenbereich mit einer erhöhten Nachfrage. So haben sowohl iShares als auch UBS bereits nachhaltige Bond-ETF lanciert. Hier kommt vor allem der Liquidität eine grosse Bedeutung zu. Auf Indexebene gibt es einen Liquiditätsfilter. Die Werte werden also nach ihrer Liquidität ausgewählt, sodass auch im Bond-Bereich gute Handelbarkeit und tiefe Spreads erreicht werden können.

Bei ETF droht jedoch die Gefahr, über das Ziel hinauszuschiessen. So hat Lyxor den Finvex Sustainability Low Volatility Europe ETF lanciert. Dieser setzt auf nachhaltige Unternehmen und versucht zugleich, das Risiko zu senken. Wenn das Thema bei Anlegern tiefer verankert sein sollte, kann ein solches Produkt spannend sein. Aktuell macht es jedoch einen bereits schwer durchschaubaren Markt noch komplexer.

Kein Renditeverzicht

Doch warum ist das Thema, obwohl es im Alltag und der Politik omnipräsent ist, in der Anlagewelt immer noch eine Nische? Hinter vorgehaltener Hand heisst es: Rendite zählt eben mehr als Ethik. Das Gros der Anleger geht davon aus, dass mit dem Fokus auf ESG-Kriterien ein Performancenachteil einhergeht. Studien, die nachhaltige und traditionelle Anlagefonds vergleichen, zeigen in der Regel keine signifikanten Unterschiede bezüglich der Risiko-Rendite-Struktur.

Gemäss der Metastudie «From the Stockholder to the Stakeholder», die 200 Forschungsergebnisse auswertete, ist sogar das Gegenteil der Fall: Nachhaltigkeit wirkt sich signifikant positiv auf die wirtschaftliche Leistung aus. So erzielen nachhaltige Anlagen eine vergleichbare Rendite wie konventionelle Investitionen. Eine Langfrist-Untersuchung der Harvard Business School stellt sogar fest, dass Investitionen in Unternehmen, die hinsichtlich materiell wichtiger Nachhaltigkeitsaspekte besonders gut abschneiden, von einer deutlich besseren Börsenkursentwicklung im Vergleich zu anderen Firmen profitieren.

«Noch ist Nachhaltigkeit ein Satellitenthema, doch es wird vermehrt als Core-Investition betrachtet», erklärt Müller. Dazu müssen aber noch einige Weichen gestellt werden, vor allem bezüglich Standardisierung: «Insbesondere ein liquider und klar definierter Ansatz kann sich positiv auf die Performance auswirken», sagt Sven Württemberger. Solange sich die verschiedenen Ansätze derart stark unterscheiden, ist der Bereich für Anleger zu unübersichtlich. Doch gerade bei nachhaltigen Investitionen sollte Transparenz ganz oben stehen.


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