Tobias Straumann sieht keinen Ausweg aus der Krise

Nach mehr als acht Jahren sind die Entwicklungen in Europa stark von den Auswirkungen der Finanzkrise geprägt. Tobias Straumann, Professor an der Universität Zürich, wirft einen Blick auf die Fehler der Vergangenheit und zeigt auf, mit welchen Folgen wir noch zu kämpfen haben werden.

Text: Barbara Kalhammer

Tobias Straumann, der Ausbruch der Finanzkrise liegt nun bereits mehr als acht Jahre zurück. Wie fällt Ihr Rückblick aus?

Grundsätzlich positiv. Den USA ist es gelungen, eine heftige Weltwirtschaftskrise wie in den 1930er-Jahren zu verhindern. Entscheidend waren folgende drei Massnahmen: die expansive Geldpolitik, die Stützung der Banken zwischen 2008 und 2009 und die stabilisierende Finanzpolitik von 2008 bis 2010. So konnte der wirtschaftliche Kollaps verhindert werden.

Wie konnte es zu dieser Krise kommen?

Eine wichtige Ursache war der amerikanische Hypothekarmarkt. Zudem war der Abstand zwischen Schuldnern und Gläubigern durch die Verbriefung der Kredite zu gross. Eine dritte wichtige Ursache waren die tiefen Realzinsen, die wir seit dem Jahre 2001 haben. Aber das wirkliche Zünglein an der Waage war die Entwicklung des Schattenbankensystems. Durch diese neue Form der Zwischenfinanzierungen kam es zur Ansteckung des weltweiten Finanzsystems.

Welche Fehler hat das Fed gemacht?

Sicherlich die Lehman-Pleite, die dazu führte, dass die Märkte komplett einfroren. -Zudem zeigen die Memoiren der damals involvierten Personen – Ben Bernanke, Tim Geithner und Hank Paulson – dass sie  die Bedeutung des Schattenbankensystems zu spät erkannt haben. Erst mit einer gewissen Verzögerung realisierten sie, dass ein Run der institutionellen Anleger auf einzelne Investment- und Grossbanken stattfand. Das lief rein elektronisch ab.

Genau das hatte die Ansteckung des weltweiten Finanzsystems zur Folge.

Richtig, das war entscheidend. Danach haben Notenbanken auf der ganzen Welt stark ins Geschehen eingegriffen.

War das der richtige Weg?

Der Schritt war absolut richtig. Die US-Notenbank Fed musste in einem ersten Schritt herzhaft eingreifen. Auch in Europa hatten die Notenbanken keine andere Wahl, als die Schleusen zu öffnen. Allerdings hätte die EZB aus meiner Sicht ruhig etwas schneller reagieren dürfen. So wurden 2008 und auch 2011 die Zinsen nochmals erhöht.

Warum war die EZB so zögerlich?

Die Krise wurde lange als amerikanische Angelegenheit heruntergespielt. Das kostete Geld und Zeit und trug dazu bei, dass viele Probleme bis heute nicht gelöst sind.

Welche?

Die Banken sind immer noch relativ schwach kapitalisiert, und in Südeuropa befinden sich immer noch viele Kredite, die in den Büchern eigentlich abgeschrieben werden müssten. Europa hat bis heute Mühe einzugestehen, wie fundamental die Krise ist. Dazu kommt, dass die Entscheidungsprozesse äusserst schwerfällig sind.

Wo stehen wir in Europa?

Es herrscht eine Pattsituation. Einerseits ist allen klar, dass eine funktionierende Währungsunion ein höheres Mass an Koordination und Zentralisation erfordert. Andererseits will sich keine politische Kraft für diese Ziele einsetzen, weil die Regierungen und Parlamente immer noch den Wählern ihres eigenen Landes verpflichtet sind. Entsprechend gibt es keinen überzeugenden Ansatz zur Überwindung der Krise. In Südeuropa sind Banken und Staaten nach wie vor überschuldet und die Wachstumsprognosen sind alles andere als berauschend. Ich sehe keinen Ausweg aus der Krise.

Ist die Währungsunion schuld?

Die Abschaffung der nationalen Währungen hat eine historisch neue Situation geschaffen. In der Vergangenheit ist die politische Union stets der Währungsunion vorausgegangen. Die EU hat hingegen den umgekehrten Weg gewählt und bezahlt dafür nun einen hohen Preis. Den Ländern wurde das wichtigste Instrument weggenommen, um die Krise zu bekämpfen: eine eigene Geld- und Währungspolitik. Gleichzeitig gibt es keine ausreichende Kompensation für diesen Souveränitätsverlust.

Wie wird es weitergehen?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass der aktuelle Zustand politisch auf Dauer durchzuhalten ist. Es gibt zu grosse Spannungen innerhalb der Länder wie auch zwischen Deutschland und Südeuropa. Auf der anderen Seite sehe ich keine Anzeichen dafür, dass der Euro kurz vor dem Zusammenbruch steht.

Betreiben die Notenbanken einen Feldversuch?

So ist es. Die Nullzinspolitik ist einzigartig, ebenso der Versuch der EZB, die Währungsunion mit allen Mitteln zusammenzuhalten. Möglicherweise kommt bald das Verbot des Bargelds. Das wäre historisch einzigartig.

Wird es den Euro weiterhin geben?

Ich kann diese Frage nicht definitiv beantworten. Klar ist, dass die europäische Gemeinschaftswährung aus politischen Gründen bis zum Letzten verteidigt werden wird. Denn es steht viel mehr auf dem Spiel als die gemeinsame Währungspolitik, es geht um die ganze Glaubwürdigkeit des Projekts EU. Das bedeutet keineswegs, dass nicht ein Staat in Zukunft wieder seine eigene Währung einführen könnte.

Die Frage ist auch, wie und wo die enormen Geldschwemmen Sinn machen.

Richtig. Hier sind die Meinungen unterschiedlich. Die EZB hat kürzlich behauptet, dass etwa 50 Prozent des gegenwärtigen Wirtschaftswachstums auf die expansive Geldpolitik zurückgeführt werden kann. Ich bin skeptisch. Ich glaube, das Problem liegt nicht beim Geldangebot, sondern bei der Geldnachfrage. Natürlich würden hohe Zinsen die Wirtschaft zusätzlich belasten, aber der umgekehrte Schluss ist für mich ebenso unzulässig.

Warum kommt das Geld nicht an?

Die EU hat strukturelle Probleme: Die Nachfrage nach Krediten ist schwach, weil es zu wenig lohnende Investitionsmöglichkeiten gibt. Südeuropa befindet sich nach wie vor in einer Stagnationsfalle, die durch hohe Staatsschulden, schwache Banken und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit verursacht ist.

Was müsste geschehen, um die Krise zu überwinden?

Die Geschichte zeigt, dass drei Massnahmen dafür nötig wären: die Abwertung der Währung, die Sanierung der Banken und ein Schuldenschnitt. Alle drei Massnahmen sind innerhalb der Währungsunion aber äusserst schmerzhaft und benötigen enorm viel Zeit.

Worauf müssen sich Anleger einstellen?

Darauf, dass die EZB und die Euroländer vor nichts zurückschrecken werden, um die Währungsunion zu bewahren. Das bedeutet, dass man sich nicht mehr auf die alten Regeln verlassen kann. Wenn man Ihnen vor zehn Jahren gesagt hätte, dass die Zentralbank dereinst Negativzinsen einführen und den Staatshaushalt finanzieren würde, hätten Sie den Kopf geschüttelt. Heute ist das Normalität. Mittlerweile ist die Rede von einem Bargeldverbot. Auch das hätte man vor zehn Jahren für undenkbar gehalten. Anleger müssen sich darum bemühen, das Spektrum der möglichen Szenarien auszuweiten.

Tobias Straumann ist Wirtschaftshistoriker und unterrichtet an den Universitäten Zürich und Basel


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