Negativzinsen: Weder moralisch noch sinnvoll

Thomas Della Casa über Sinn und Unsinn von Negativzinsen. Eins ist gewiss: Ein nahes Ende der Negativzinsen ist nicht absehbar.

Text: Thomas Della Casa

Negativzinsen seien weder aussergewöhnlich, unmoralisch, noch absurd, lassen uns die Zentralbanken wissen. Und in Japan, Schweden, Dänemark, der Schweiz und der Eurozone sind sie seit längerem Realität. Die Notenbanken haben noch nie eingesetztes Geschütz gegen einen latenten Wirtschaftsabschwung aufgefahren. Negativzinsen sind de facto Prototypen im Waffenarsenal der Zentralbanker, deren Funktionalität in der Realwirtschaft zum ersten Mal getestet wird. Es ist, als ob eine Gesundheitsbehörde ein Medikament der Phase I ohne Tests zulassen würde.

Dass die Renditen von Anleihen negativ sind, gab es in den letzten 5000 Jahren nie. Aber es soll wie gesagt nicht aussergewöhnlich, unmoralisch oder absurd sein, weil die Inflation ja ebenfalls gesunken sei – die Realzinsen seien dementsprechend hoch. Viele Ökonomen halten die Nominalzinsen angesichts der schwachen Konjunktur immer noch für zu hoch, weitere Zinssenkungen würden folgen. In den USA, allmählich auch in Europa, scheint sich die Inflationssituation zu normalisieren. Insbesondere die Preissteigerungen für Dienstleistungen sind in den USA hoch, doch die Löhne steigen nun kontinuierlich an. Die Inflationserwartung der Anleger wird sich deshalb in nächster Zeit ändern müssen.

Trotzdem ist ein nahes Ende der Negativzinsen nicht absehbar. Vielmehr sollen Schlupflöcher zu ihrer Vermeidung gestopft werden, einzelne Professoren propagieren die Abschaffung von Bargeld. Nur so könne das Horten verhindert werden. Zudem befeuere Bargeld Korruption, Steuerhinterziehung, Terrorismus und die illegale Einwanderung. Damit ist klar: Negativzinsen mögen kein Bargeld. Auch bei der Bekämpfung krimineller Organisationen wird die Abschaffung von Bargeld aufgeführt.

Cash gerät bei vielen Wissenschaftlern zunehmend in Verruf und ist damit erklärterweise aussergewöhnlich, unmoralisch und absurd. Und dies, obwohl die ersten normierten Edelmetallmünzen in Kleinasien schon 600 v. Chr. in Umlauf kamen. Als solch barbarisches Relikt wird Bargeld mittlerweile auch betitelt. Italien-Urlauber beispielsweise machen sich sofort verdächtig, wenn sie ihre Hotelrechnung bar begleichen möchten.

Die Abschaffung der 500-Euro-Note wurde von der EZB bereits beschlossen. Wenn es nach den Professoren geht, folgt schon bald die 100-Dollar-Note. Monetäre Tools werden vermehrt als Allheilmittel gegen wirtschaftliche Probleme gesehen. Es scheint, dass die Kritiker gegen diese unorthodoxen Massnahmen langsam verstummen. Dabei gäbe es Einiges zu hinterfragen, denn negative Zinsen widersprechen unserer Intuition. Und ob Haushalte deswegen mehr Geld ausgeben, ist mehr als fraglich.

Viele sparen wegen der Negativzinsen sogar noch mehr, da die Rentenerwartung sinkt und sich das Ersparte nicht vermehrt, sondern schmilzt. Da der Effekt zu mehr Konsum bis heute kaum spürbar ist, wird bereits über einen flexiblen Wechselkurs zwischen Bargeld und Geld auf dem Konto philosophiert. Auch das würde wohl weder als aussergewöhnlich, unmoralisch noch absurd betrachtet werden.

Dabei sollte man vielmehr die Zielsetzung all dieser aussergewöhnlichen Massnahmen hinterfragen. Mittels Negativzinsen und Abschaffung von Bargeld soll der private Konsum – auch auf Schuldenbasis – und damit die Konjunktur angekurbelt werden. Das ist nicht gewöhnlich, nicht moralisch und nicht sinnvoll.

Thomas Della Casa ist Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter Vermögensverwaltung bei der Neuen Helvetischen Bank
Thomas Della Casa, Neue Helvetische Bank
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