Wir sind bereits in einem Bärenmarkt

Zu Jahresbeginn hat China für Turbulenzen an den weltweiten Märkten gesorgt. Alfons Cortés von der Unifinanz Trust erklärt im Interview, wie es nun weitergeht und worauf sich Anleger in den nächsten Monaten einstellen müssen.

Zu Jahresbeginn hat China für Turbulenzen an den weltweiten Märkten gesorgt. Wie steht es um das Reich der Mitte?

Das weiss niemand. Aber China ist nicht der Grund für die aktuelle Schwäche an den Märkten.

Sondern?

In den USA wurde schon das gesamte letzte Jahr ein Bärenmarkt vorbereitet. Sämtliche technische Signale deuteten darauf hin. Was letztlich der Katalysator ist, um etwas Vorbereitetes im Markt auszulösen, kann man nie genau sagen. Niemand würde China viel Aufmerksamkeit schenken, wenn nicht die USA schon im letzten Jahr mehr fallende als steigende Aktienkurse gehabt hätten. Und jetzt ist eben die ganze Welt in einem Bärenmarkt.

Der Kurssturz ist somit keine Korrektur, sondern eine Trendwende?

Absolut – aber das ist gut so. Nach vielen Jahren der Hausse war eine solche Entwicklung überfällig. Die Märkte haben lange nur die guten Nachrichten verarbeitet, jetzt konzentrieren sie sich vermehrt auf die negativen. Das kann China sein, das können auch die Probleme sein, die sich in den Hochzinsanleihen aufbauen.

Die Nervosität an den Märkten steigt rasant. Ist die Panik übertrieben?

Noch neigen die Anleger nicht zur Panik, das kommt erst später. Aktuell bewerten sie den Markt als «überverkauft». Ihre Strategie lautet: in der Stärke verkaufen. Und nicht mehr, in der Schwäche zukaufen. Doch die Stärke kommt nicht so schnell wieder, das wird zu Panik führen. Noch wehren sich die Anleger, den Bärenmarkt anzuerkennen.

Was kennzeichnet den Bärenmarkt?

Wesentlich ist, dass gute Nachrichten mit Kursrückschlägen quittiert werden, schlechte mit Kurseinbrüchen. Einzig grosse positive Überraschungen können für nachhaltige Kurserholungen sorgen. Solche Überraschungen könnten im Ölbereich auftauchen. Dann werden wir eine Rally sehen, aber es werden dennoch Bärenmärkte bleiben.

Anleger suchen Indikatoren für die Börse gerne in der Wirtschaft.

Ja, die meisten vermischen das. Eine seriöse Analyse würde aber zeigen, dass das nicht sein kann. Natürlich gibt es Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Börse, aber die beiden laufen nicht parallel. Und es darf nicht vergessen werden, wie George Soros schon erkannt hat: Nicht nur die Wirtschaft beeinflusst die Börse, sondern auch umgekehrt.

Es ist also sinnlos, Börsenentscheide anhand von Wirtschaftsanalysen zu treffen?

Absolut. Es ist ratsamer, die Märkte zu studieren, in die man investiert, und das Umfeld. Wichtig ist, welche positiven oder negativen Informationen aus dem Umfeld von der Börse aufgenommen werden und welche nicht. Wenn über lange Zeit konstant Informationen aus der Wirtschaft vernachlässigt wurden und die Börse in der Folge an Momentum verliert, kann davon ausgegangen werden, dass diese Daten in den Vordergrund rücken.

Gibt es dafür ein Beispiel?

Ja. Seit 2014 ist die US-Börse gemessen am Shiller-Kurs-Gewinn-Verhältnis teuer. Im letzten Jahr ist sie dann nochmals teurer geworden, aber sie hat an Momentum verloren und die Mehrheit der Aktien ist gefallen.

Welche anderen Fehler machen Anleger?

Investoren können in Populationen unterteilt werden, denn die Investitionsentscheide hängen vielfach von den Mitteln ab, die angelegt werden. Lebensversicherungen und Pensionskassen etwa haben kaum eine andere Wahl, als passiv zu investieren. Diese institutionellen Anleger bilden die grösste Population.

Wer sind die anderen Populationen?

Die Value-Investoren. Sie interessieren sich weder für die Konjunktur noch den Markt, sondern nur für die Unternehmen, deren Aktien sie kaufen. Sie haben Anfangs 2014 begonnen, ihre Positionen zu verkleinern. Diese Population geht immer voraus und kauft beziehungsweise verkauft oft zu früh.

Wo finden sich die Trader?

In der dritten Population, zusammen mit den Momentum-Investoren. Sie erkennen, welche Entwicklungen vor sich gehen, und beschleunigen diese. Aktuell sehen wir eine solche Anpassung der Preise an den wahren Wert. Die institutionellen Investoren reduzieren ihre Aktienquote meist erst in einem fortgeschrittenen Stadium einer Baisse. Sie lösen mit ihrem Ausverkauf dann den Endpunkt des Bärenmarktes aus.

Das steht uns nun bevor.

Ja, wobei es auch möglich ist, dass die Börsen dieses Mal etwas gnädiger sind und weniger verlieren. Aktuell sehen wir jedoch keine Katalysatoren, die den Bullen wieder Kraft geben könnten. Nur 13,6 Prozent der Aktien im MSCI World haben positives Potenzial, das kann keinen Trend drehen.

Was bedeuten solche Kapriolen?

Auf lange Sicht steigen die Märkte doch immer. Die Märkte steigen zwar, aber nicht ganz so stark, wie viele behaupten. Die besten Zahlen kommen zustande, wenn man 40 oder mehr Jahre betrachtet. Doch wer investiert schon über einen so langen Zeitraum?

Macht es Sinn, seine Positionen nun anzupassen, oder sollte man seiner Strategie treu bleiben?

Das hängt von der Strategie ab. Ich bin immer investiert, in Bärenmärkten sichere ich mich ab über Indexfutures. Zudem lohnt es sich, in der Baisse auf die berühmten defensiven Aktien wie Lebensmittel oder Versorger zu setzen.

Welche Eigenschaften müssen Anleger mitbringen, um solche Phasen durchzustehen?

Das Entscheidende ist, nicht mehr Aktien zu halten, als man verträgt. Das heisst, Baisse-Phasen ohne Verkäufe zu meistern, und die negativen Kurse auszuhalten. Anleger müssen sich fragen, ob sie einen Rückgang von 20 Prozent verkraften, ohne sich einschränken zu müssen.

Wie muss die Strategie aussehen?

Das hängt vom Können einer Person ab. Ist sie beispielsweise in der Lage, die wichtigen psychologischen Faktoren einzuschätzen, die die Preise an den Märkten bewegen? Das ist für wirklichen Erfolg die erste Voraussetzung. Sie muss aber auch die einzelnen Aktien beurteilen, Anlageentscheide fällen und durchhalten können.

Worauf müssen sich Anleger in den nächsten Monaten einstellen?

Ich habe mich auf eine sehr scharfe Baisse eingestellt. Durch die Politik der Notenbanken gehe ich davon aus, dass Fehlinvestitionen getätigt werden. Anleger suchten verzweifelt nach Renditemöglichkeiten und vernachlässigten dabei das Risiko.

Wie wird es mit den Zinsen weitergehen?

Im jetzigen Marktumfeld hätten steigende Zinsen negative Auswirkungen. Ich erwarte zudem, dass es im High-Yield-Bereich etliche Pleiten geben wird.

Welche Gefahren sehen Sie durch die Baisse und die Liquiditätskrise bei Bonds?

Hier kommen sicher erneut Probleme auf die Banken zu. Warren Buffett hat einmal gesagt: «Wer nackt badet, sieht man erst in der Ebbe.» Bei den Banken wird sich das nun zeigen. Die allermeisten Institute haben knapp 1,5 Prozent richtiges Eigenkapital. Zudem finden sich in den Bilanzen Obligationen von Staaten, die ihre Verbindlichkeiten nie zurückzahlen werden. Wir sind also immer noch ein Kartenhaus.

Alfons Cortés ist Vorsitzender der Geschäftsleitung der Vermögensverwaltung Unifinanz Trust.


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