«Aktien von Banken? Nein, danke!»

2018 war ein sehr durchzogenes Börsenjahr. Wie der Ökonom Thomas Della Casa von der Helvetischen Bank meint, gibt es für das kommende Jahr einige Hoffnungsschimmer, wohl aber auch düstere Aussichten.

Text: Pascal Hügli

Thomas Della Casa Helvetische Bank

Wie beurteilen Sie die Märkte zum Jahresabschluss?

Thomas Della Casa Während die USA ein gutes Wachstum verzeichneten, waren die europäischen Märkte über weite Strecken eine Enttäuschung. Auch Asien bekundete Mühe – allen voran China, dessen Wachstumsmotor ins Stocken geriet.

Schlägt China der Handelskonflikt auf den Magen? Und warum stehen die USA im globalen Vergleich am besten da?

China ist das grösste Exportland der Welt. 2017 betrugen die Exporte von China 2263 Milliarden US-Dollar. Die US-Wirtschaft ist viel stärker abhängig vom Inlandkonsum.

Wie hoch sind die Kosten des Handelskonflikts bis heute?

Die derzeitige Situation dürfte die Welt ungefähr 0,1 Prozent BIP-Wachstum kosten. Setzen jedoch beide Konfliktparteien ihren ganzen Massnahmenkatalog in die Tat um, könnte es schlimmer kommen. China könnte dann schnell einmal 1 bis 1,5 Prozent an Wachstum einbüssen, was global einen Rückgang von etwa 0,3 Prozent bedeuten würde.

Wird es so weit kommen?

Die Verhandlungen zwischen Trump und Xi am G20-Treffen stimmen grundsätzlich positiv. Für die nächsten 90 Tage haben sich die beiden Parteien auf einen Waffenstillstand geeinigt. Beide dürften die Gefahren erkannt haben und sind deshalb bereit, Konzessionen einzugehen. Letztlich hat weder China noch die USA ein Interesse daran, das globale Wirtschaftswachstum nachhaltig zu gefährden.

Wie die vergangenen Monate gezeigt haben, sind die Finanzmärkte trotzdem nervös.

Wir befinden uns in einem sehr reifen Stadium des nach der Finanzkrise von 2008 eingesetzten und anhaltenden Aufschwungs. Die Konsumentenstimmung ist auf breiter Front bereits ein wenig rückläufig. Auch Geschäftsklimaindizes zeigen eine leichte Abschwächung. Das internationale Wirtschaftswachstum dürfte im kommenden Jahr mit grosser Wahrscheinlichkeit tiefer liegen. Die heute mulmigen Gefühle der Investoren sind auch vor dem Hintergrund der sehr positiven Grundstimmung von 2017 zu sehen. Das vergangene Jahr 2017 war ganz allgemein ein Bombenjahr für die Märkte. 2017 ist übrigens eine Primzahl. Primzahljahre sind in der Vergangenheit oft sehr gute Börsenjahre gewesen.

Insbesondere der «Oktobär» hat nun aber die Börsen-Bullen vertrieben?

Die durchschnittliche Bewertung der entwickelten Märkte ohne Emerging Markets ist in der Tat um 13 Prozent zurückgegangen. Bei den Schwellenländern hat es vor allem auch China getroffen, das in der Bewertung um bis zu 22 Prozent gesunken ist. Gleichwohl liest man in den Zeitungen noch immer, dass Aktien derzeit teuer seien.

Sind Sie es nicht?

Nein, meiner Ansicht nach sind Aktien heute nicht unattraktiv, weil nicht zu teuer. Relativ sind sie einiges günstiger geworden. Die Bewertungen Chinas, zum Beispiel der Hang Seng Index, sind so tief wie seit 25 Jahren nicht mehr. Ich würde also konstruktiv handeln und mir die Titel aneignen, statt noch weiter zu verkaufen.

Sind die fallenden Kurse nicht auch ein Zeichen dafür, dass wir gerade in eine Rezession schlittern?

Von einer Rezession kann zum heutigen Zeitpunkt noch nicht gesprochen werden, bedeutet eine solche doch zwei aufeinanderfolgende Quartale negativen Wachstums. Vielleicht kommt die Rezession 2020 oder 2021. Noch sind die Orderbücher von Unternehmen in leistungsstarken Industrien gut gefüllt.

Zum Beispiel?

Die Luftfahrt- oder die Eisenbahnindustrie beispielsweise. Airbus und Alstom, aber auch andere Firmen werden in den nächsten Jahren mit der Abarbeitung ihrer Orderbücher beschäftigt sein. Diese Firmen stehen sinnbildlich für Sektoren, die in den nächsten Jahren keine Probleme haben sollten.

Was gibt Ihnen die Sicherheit, dass der Wind nicht plötzlich drehen wird?

Absolute Sicherheit habe ich nicht. Der Wirtschaftsabschwung ist eine Tatsache, doch kommen wir von einem relativ hohen Niveau. In den vergangenen Jahren waren wir über dem sogenannten Trendwachstum. Die Welt kann zwei bis zweieinhalb Prozent wachsen. In diesem Jahr waren wir bei dreieinhalb Prozent und gehen im Folgejahr wohl auf drei Prozent herunter. Ich glaube also, dass wir immer noch über dem Trendwachstum sein werden.

Das lag auch an der expansiven Geldpolitik, von der die Zentralbanken jetzt abzukehren versuchen.

Einer der wichtigsten Faktoren für das Hoch der vergangenen Jahre war in der Tat die expansive Geldpolitik. Wird diese nun zurückgefahren, wird weniger Liquidität an den Börsen vorhanden sein. Da die Liquidität der Sauerstoff der Börse ist, wird die Luft also dünner, was es für die Finanzmarktteilnehmer automatisch schwieriger macht.

Das dürfte Konsequenzen haben.

Tatsächlich hat das billige Geld dazu geführt, dass sich Unternehmen so stark verschuldet haben wie noch nie. Vor allem in gewissen Sektoren in den USA, aber auch in Europa ist das der Fall. Und diese Sektoren dürften Probleme bekommen.

An welche Sektoren denken Sie?

Im Tech-Sektor gibt es Firmen, die sich massiv verschuldet haben. Im Öl-Sektor gibt es Unternehmen, die ebenfalls viel Fremdkapital aufgenommen haben. Hier wird es zu Zahlungsausfällen kommen, weshalb die Ausfallrate im nächsten Jahr ansteigen wird.

Dass dies einem Lauffeuer gleich die gesamte Wirtschaft in eine Krise stürzen könnte, erachten Sie für nicht realistisch?

Für Geschäftsbanken und Investoren, die Hochzinsanleihen halten, werden die Zahlungsausfälle zu einem ernsthaften Problem werden. In Europa sehen wir es bereits: Es sind bereits einige italienische Banken von der Bildfläche verschwunden. Sie besassen zu viele ausstehende Kredite, für die aber kein Zins mehr bezahlt wurde.

Sie sprechen Italien an. Ist das der heikelste Fleck Europas?

Ja. Schon seit drei Jahren behaupte ich: Italien ist verloren.

Ein hartes Verdikt. Immerhin ist Italien die achtgrösste Volkswirtschaft der Welt.

Kommt es zu keinen strukturellen Änderungen, wird sich das Land nicht an dieser Position halten können. Der Brain-Drain durch das Abwandern der Jungen ist riesig, die Arbeitsverhältnisse sind prekär. So verdient ein Lastwagenfahrer in Italien gerade einmal 800 Euro pro Monat. Damit kommt man auch in Italien nicht weit.

Warum sind die Löhne so tief?

Die Auflagen, die Kontrollen, die Steuern für Unternehmen sind enorm. Viel bleibt da für Lohnzahlungen nicht mehr übrig.

Ist Italien wirklich ein hoffnungsloser Fall?

Meiner Meinung nach wäre ein Schuldenschnitt die einzige Lösung. Dieser wird irgendwann kommen müssen. Einen anderen Ausweg sehe ich nicht, denn Italien hat keine Anreize, sein wirtschaftliches System nachhaltig zu verbessern. Seit Jahren wurstelt sich das Land gerade so durch. Alternativ könnte man auch die katholische Kirche in Italien zwingen, einen Teil ihres enormen Vermögens für den Schuldenabbau zur Verfügung zu stellen. Sie sehen, ausserordentliche Ideen sind gefragt.

Wer kauft überhaupt noch italienische Staatsanleihen?

Heute vor allem die Europäische Zentralbank. Nächstes Jahr, wo die EZB ihr Anleihen-Kaufprogramm zurückfahren will, werden wir dann sehen, wer tatsächlich noch italienische Staatspapiere kaufen wird. Gerade deshalb halte ich das nächste Jahr für sehr spannend und potenziell wegweisend.

Wegweisend ist derzeit auch, eine Digitalisierungsstrategie zu haben. Haben die Banken das mittlerweile erkannt?

Die digitale Transformation läuft in der Tat und ist nicht mehr aufzuhalten. Diejenigen Banken, die ein Netzwerk haben und darüber neue digitale Dienstleistungen verkaufen können, werden profitieren. Denn ohne digitales Angebot wird es in Zukunft nicht mehr gehen – so viel ist sicher.

Die wenigsten Banken scheinen das verstanden zu haben.

Sie tun den Banken unrecht. Ich glaube sehr wohl, dass viele Banken diese Entwicklung verstanden haben. Die IT hat bei den Banken schon immer eine zentrale Rolle gespielt, weshalb sie auch etwas davon verstehen.

Sind Sie sich sicher, dass ein einfaches Verständnis von IT hier ausreichen wird?

Heute geht es ja darum, veraltete IT-Strukturen zu modernisieren. Es ist wichtig, dass die Banken parallel zu den «alten» Systemen die neuen entwickeln und hinauffahren. Über die Zeit wird man dann die alten Systeme, wenn sie ihren Dienst getan haben, vom Netz nehmen können.

Bankaktien sind also nicht von der Liste potenzieller Investments zu streichen?

Das ist eine andere Geschichte. Von Bankaktien würde ich aus dem folgenden einfachen Grund abraten: In den vergangenen Jahren haben sie für den Aktionär kaum Mehrwert generiert. Banken haben ein teures Management, sind in zahlreiche kostenintensive Rechtsfälle verstrickt und haben regulatorischen Gegenwind. Will ich also eine solche Aktie kaufen, die dazu noch zyklisch ist?

Apropos zyklisch: Die letzten Wochen haben gezeigt, dass die grossen Anlageklassen immer mehr korrelieren. Wirkt der Diversifikationseffekt überhaupt noch?

Dass der Diversifikationseffekt heute abgeschwächt zu sein scheint, hängt mit der geldpolitischen Manipulation durch die Zentralbanken zusammen. Gerade im festverzinslichen Bereich haben wir Zentralbanken, die als einziger oder grösster Käufer einer Anlage auftreten und so die Korrelationen künstlich verzerren.

Was unkorrelierte Assets umso wertvoller werden lässt.

Nicht-korrelierte Vermögenswerte werden von jedermann gesucht, speziell jetzt, wo man weiss, dass die expansive Geldpolitik die Märkte verzerrt hat. Ab und an wird man auch fündig, doch bergen diese Anlagewerte dann eben andere Risiken.

Ist Bitcoin vielleicht ein solches nicht-korreliertes Asset?

Das ist sicher einer der Gründe, weshalb Bitcoin entstanden ist und die Aufmerksamkeit von Anlegern auf sich gezogen hat. Die Kryptowährung wird als Möglichkeit gesehen, Vermögen ausserhalb traditioneller Finanzanlagen parkieren oder auch Kapitalverkehrskontrollen umgehen zu können.

Stehen Sie Bitcoin und Co. negativ gegenüber?

Nein. Ich finde den Versuch lobenswert. Für mich ist Bitcoin keine Alternative zum Dollar oder Schweizer Franken, sondern eben etwas ganz Neues, von dem wir noch nicht wissen, wofür es dereinst effektiv verwendet wird.

Haben Kryptowährungen, in welcher Form auch immer, eine Zukunft?

Als Zahlungsmittel wahrscheinlich ja, als Anlageklasse fast sicher nicht. Wer eine Bilanz der Schweizer Nationalbank betrachtet, erkennt: Hinter den Schweizer Franken stecken Gold, Obligationen und Aktien. Eine Kryptowährung wie Bitcoin ist allerdings durch nichts gedeckt.

*Thomas Della Casa ist Leiter der Vermögensverwaltung und CIO bei der Helvetischen Bank.


sentifi.com

Top 10 meistdiskutierte Werte



Kommentar schreiben

  • (will not be published)