DeFi – das nächste grosse Ding?

Bitcoin & Co. sind für viele Anleger ein rotes Tuch. Kryptos werden entweder als vorübergehende Erscheinung abgetan oder aufgrund der hohen Volatilität als Spekulationsobjekt abgestraft. Dennoch wächst der Markt. Besonders auffällig ist das zunehmende Interesse an Protokollen aus der Welt der Dezentralen Finanzdienstleistungen (DeFi).

Text: Rino Borini
Dezentrales Finanzsystem

Die weltweite Adaption von Krypto-Assets schreitet weiter voran. Immer mehr institutionelle Investoren, aber auch verstärkt Privatanlege, investieren in Bitcoin & Co. und verhelfen dem Marktsegment zu grossem Wachstum.

Für einmal profitieren nicht die USA am stärksten vom Wachstum, sondern Europa. Eine neue Analyse des US-Krypto-Researchhauses Chainanalysis zeigt, dass der alte Kontinent der grösste Markt für Krypto-Assets geworden ist. Für die Analyse wurden 100 digitale Assets über zehn verschiedene Blockchains untersucht.

Die Autoren haben das globale Transaktionsvolumen analysiert und festgestellt, dass in Zentral-, Nord- und Westeuropa etwa ein Viertel des gesamten Volumens gehandelt wird – und zwar über praktisch alle Kryptowährungen und Dienstleistungen hinweg. Der Transaktionswert grosser institutioneller Kryptowährungen ist von 1,4 Milliarden US-Dollar (Juli 2020) auf 46,3 Milliarden US-Dollar (Juni 2021) angestiegen.

Wallstreet-Banken entdecken nun Krypto-Assets

Inzwischen bauen verschiedene Banken ihr Krypto-Angebot aus – auch in der Schweiz. Ganz vorne dabei sind seit geraumer Zeit jedoch die US-Banken. So ermöglicht die Bank of America, die Nummer zwei in den USA, ihren Kunden den Handel mit Bitcoin Futures. Goldman Sachs arbeitet mit dem Krypto-Finanzdienstleister Galaxy Digital zusammen, damit Bitcoin-Derivate gehandelt werden können. Goldman Sachs geht noch weiter und hat bei der US-Börsenaufsichtsbehörde (SEC) einen Antrag für die Auflegung eines börsengehandelten Fonds (ETF) für dezentrale Finanzen (DeFi) und Blockchain eingereicht.

Auch die grösste US-Bank, JP Morgan, bietet ihren Privatkunden mittlerweile Zugang zu sechs Krypto-Fonds an. Die Berater dürfen «unaufgefordert» Krypto-Geschäfte ausführen, sie dürfen jedoch keine Produkte empfehlen. Das Produktangebot gilt für alle Kunden, die nach Anlageberatung suchen. Auch für jene, die die Handels-App von Chase nutzen.

Die Ironie dahinter: 2017 liess Konzernchef Jamie Dimon verlauten, Bitcoin sei Betrug. Mitarbeitern, die Bitcoin handeln, drohte er mit der Entlassung. Mittlerweile tun es viele Wall-Street-Giganten den institutionellen Anlegern gleich und investieren im grossen Stil in Bitcoin & Co.

Goldgräberstimmung im dezentralen Finanzsystem?

Doch die Krypto-Welt entwickelt sich rasant weiter, wie die von Chainanalysis durchgeführte Studie ebenfalls zeigt: In den letzten zwölf Monaten investierten die meisten institutionellen Anleger, die bereits im Kryptomarkt aktiv sind, in Projekte aus der Welt der dezentralen Finanzplattformen (DeFi).

Die Protokolle im DeFi-Segment haben für die Finanzindustrie eher ungewöhnliche Namen: Sie heissen Uniswap, SushiSwap, Aave oder beispielsweise PancakeSwap. Viele dieser Token haben eine regelrechte Kursrally hinter sich. Diese Entwicklung hat auch das Schweizer Derivathaus Leonteq kürzlich dazu bewogen, erste Zertifikate auf ausgewählte DeFi-Tokens zu emittieren. So können nun beispielsweise die Protokolle Aave, Maker, Uniswap oder Yearn.Finance über das e-Banking erworben werden.

Im Krypto-Universum gilt DeFi als einer der schnellst wachsenden Bereiche, DeFi wird häufig sogar als Zukunft der Finanzindustrie bezeichnet. Denn die neu aufkommenden Anwendungen und Unternehmen bieten Finanzdienstleistungen auf Basis der dezentralen Bockchain-Technologie an.

Ein Vorteil liegt in der Dezentralisierung, die dank Smart Contracts, bei denen ein Computercode die (rechtlichen) Regeln automatisch durchsetzt, alle ausgeführten Transaktionen in einer verteilten Datenbank speichert. Somit fallen Vermittlungsinstanzen weg, zudem gibt es keinen Akteur, der die alleinige Kontrolle über die getätigten Geschäfte hat. Zensur oder Korruption werden damit verhindert.

Wenn Börsen ohne Mittelsmännern auskommen

Ein wichtiger Baustein des dezentralen Finanzsystems sind Handelsplattformen, die ohne Mittelsmänner funktionieren. Die bekanntesten unter ihnen heissen Uniswap, Sushiswap, PancakeSwap oder Curve Finance. Doch wie funktioniert eine Börse ohne zentrale Instanz?

Eine (zentralisierte) Kryptobörse wie Coinbase führt – so wie eine traditionelle Börse, an der Aktien, Obligationen oder ETF gehandelt werden – ein Orderbuch mit Aufträgen, die von Käufern und Verkäufern eingereicht werden. Die Hauptaufgabe der Börse besteht darin, Käufer und Verkäufer zusammenzubringen, damit sich ein Marktpreis bilden kann.

Auf traditionellen Märkten sorgen Clearing- und Abrechnungsstellen dafür, dass die Transaktionen wirksam werden, wobei die Abwicklung jeweils einige Tage dauert. Bei dezentralen Börsen entfällt der Vermittler, da ein anderer Ansatz verfolgt wird. Uniswap ist eine der bekanntesten dezentralen Börsen, der entsprechende Coin ist inzwischen die elftgrösste Kryptowährung: Allein 2021 legte er 409 Prozent zu.

Intelligente Verträge ersetzen Market Maker?

Uniswap basiert auf der Ethereum-Blockchain, dem technischen Unterbau der zweitgrössten Kryptowährung Ether. Die DeFi-Börse Uniswap ist dezentral organisiert und gehört nicht einem einzelnen Unternehmen oder Person. Stattdessen wird die Börse von einer Community aus Nutzern und Programmierern verwaltet, die Vorschläge einbringen und über diese abstimmen können.

Im Vergleich zu traditionellen Börsen benötigen dezentrale Börsen wie beispielsweise Uniswap keine klassischen Market Maker, die Käufer und Verkäufer zusammenbringen, sondern Liquiditätspools, bei denen Transaktionen durch einen sogenannten Smart Contract automatisch ausgeführt werden.

Bei Liquidity Pools stehen sich immer zwei Währungen gegenüber. Nutzer können also zum Beispiel Ether gegen Stablecoins eintauschen, deren Wert direkt an den Dollar gekoppelt ist. Dafür bezahlen sie jeweils eine geringe Gebühr. Beim Mechanismus von Uniswap werden die Preise automatisch angepasst, wodurch die Pools ausbalanciert werden. Der Gesamtwert der Assets ist also immer derselbe.

Künftige Reise geht nicht ohne Regulator

Noch ist der Markt der dezentralen Finanzdienstleistungen klein – und verglichen mit dem globalen Finanzmarkt nicht mehr als ein Klacks: Per Ende September waren es rund 90 Milliarden Dollar, die investiert waren. Doch DeFi verspricht ein neues gerechteres und demokratischeres Finanzsystem, das in seiner Reinform ohne Intermediäre wie Banken oder Börsen auskommt.

Die nächste Phase von DeFi soll die Branche für alltägliche Benutzer zugänglicher machen und gleichzeitig – durch bessere Protokoll- und Produkttransparenz, die Risiken für ihre Benutzer klar identifiziert – noch mehr Vertrauen aufbauen. Das ist jedoch noch ein sehr langer Weg.

Zudem sind Regulierungsbehörden daran interessiert, dass Anlegern bei DeFi-Protokollen und -Produkten kein unangemessener Schaden zugefügt wird. Doch völlig unklar ist derzeit, wie DeFi überhaupt reguliert werden kann. Ebenso unklar ist, ob und wie sich etablierte Finanzdienstleister zu dieser wachsenden Entwicklung positionieren.


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