Der aufpolierte Index

«Mehr Rendite und weniger Risiko» lautet das überzeugende Versprechen des ETF-Segments Smart Beta. Doch da die Strukturen mit der wachsenden Beliebtheit immer komplexer werden, bleibt der Anlegernutzen vermehrt auf der Strecke.

Text: Barbara Kalhammer

Smart Beta ist derzeit in aller Munde. Das relativ junge Segment wächst gemäss Morningstar aktuell am schnellsten und erhält ein Drittel sämtlicher ETF-Nettomittelzuflüsse. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff? Prinzipiell werden darunter «Intelligente Indizes» verstanden, doch an einer einheitlichen Definition mangelt es. Ausserdem ist der Begriff irreführend, sinnvoller wäre die Bezeichnung Strategic Beta. Darunter werden die Barometer nicht nach der Marktkapitalisierung und dem Free Float der Aktien gewichtet, sondern nach alternativen Kriterien, wie der Volatilität oder Dividendenzahlungen. Der Vorteil für die Anleger ist ein besseres Rendite-Risiko-Profil.

Die Idee selbst ist nicht neu, Alternativen zu nach Marktkapitalisierung gewichteten Indizes gibt es seit Jahren. Sie entstanden, weil klassische Barometer einen entscheidenden Nachteil haben: Sie gewichten hoch bewertete Aktien stärker. Titel, die in der Vergangenheit eine gute Entwicklung aufwiesen, erhalten einen hohen Anteil im Index. Diejenigen Werte, die weniger gut performten, erhalten dagegen nur ein geringes Gewicht. Sie setzen somit vor allem auf teure Werte und vernachlässigen dabei möglicherweise Titel mit Aufholpotenzial. Diese Gewichtungsart und das damit einhergehende prozyklische Verhalten führt Experten zufolge zu einem Renditenachteil. Gemäss Berechnungen von Research Affiliates, dem Unternehmen von Rob Arnott, Urvater der Rafi-Indizes, liegt dieser bei entwickelten Märkten bei zwei Prozent pro Jahr.

 Vorreiter Rafi

Die Rafi-Indizes waren die ersten Barometer dieses Segments. Bezüglich Auswahl und Gewichtung der Aktien nutzen sie verschiedene Indikatoren wie Buchwerte, Cashflow, Umsätze und Dividenden. In den letzten Jahren ist die Vielfalt stark gewachsen. Nach Zahlen von Morningstar gab es Ende Juni 2014 weltweit bereits 673 Strategic-Beta-ETP, die insgesamt knapp 400 Milliarden Dollar verwalteten.

Am grössten ist die Nachfrage in den USA, aber auch in Europa wächst das Interesse: Bereits 26 Milliarden Dollar wurden in die Vehikel investiert. Zu den einfachsten und weitestverbreiteten Strategic-Beta-ETP zählen Produkte, die das Hauptaugenmerk auf attraktive Dividendenrenditen legen. Die Gewichtung der Unternehmen im Index erfolgt nach ihrer Ausschüttung. Eine Variante sind die sogenannten Aristocrat-Indizes, die nur Unternehmen berücksichtigen, die über 20 oder mehr Jahre die Dividenden kontinuierlich erhöht haben.

Dass eine solche Strategie durchaus Sinn macht, zeigen Studien, gemäss denen Dividenden im langfristigen Durchschnitt rund 40 Prozent der gesamten Wertentwicklung ausmachen. Doch jede Medaille hat bekanntlich eine zweite Seite. So kann es durch die Konzentration auf Dividenden zu einem Übergewicht bestimmter Branchen kommen. Vor der Finanzkrise etwa waren Finanzwerte in den Dividenden-Indizes stark vertreten, was sich negativ auf die Renditen niederschlug. Um solche Risiken zu vermeiden, lohnt sich ein Blick auf die genaue Zusammensetzung.

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Schwächephasen aussitzen

Bei der Marktkapitalisierung ist es oft so, dass vermeintlich breit diversifizierte Barometer von einigen wenigen grosskapitalisierten Unternehmen dominiert werden. Bestes Beispiel dafür ist der Schweizer Leitindex SMI, in dem die grössten fünf Titel einen Anteil von rund 70 Prozent ausmachen. Im Stoxx 600 Europe haben die grössten 100 Einzeltitel ein Gewicht von 70 Prozent. Um dieses Ungleichgewicht auszugleichen, gibt es die «Equal-Weight-Indizes». Wie der Name schon sagt, werden die Titel dabei gleich gewichtet. Dies kann durchaus zu einer besseren Rendite führen, da klein- und mittelkapitalisierte Werte so einen höheren Anteil haben. Sie verzeichnen besonders in konjunkturellen Aufschwungphasen eine bessere Entwicklung. Bei Börsenkorrekturen können diese Barometer allerdings  stärker in Mitleidenschaft gezogen werden, wie ein Blick auf das Krisenjahr 2008 zeigt.

Die Schlussfolgerung für Anleger lautet, dass sie entweder einen langen Atem haben müssen, um solche Schwächephasen aussitzen zu können, oder die Produkte vor allem für die taktische Vermögensverwaltung einsetzen sollten. Ebenfalls von Nachteil ist, dass jene Branchen den grössten Anteil haben, von der die meisten Werte im Index vertreten sind. Gemäss einer Studie des Risk Institute der französischen Edhec Business School zeigte sich, dass sich die Gleichgewichtung bei amerikanischen Standardwerten und beim Welt-Aktienmarkt durchaus lohnte. Zwischen 2002 und 2011 erreichte der gleichgewichtete MSCI World eine Rendite von 11,2 Prozent pro Jahr, während der marktkapitalgewichtete Index nur 7,1 Prozent schaffte.

Diese Entwicklung zeigt sich auch beim Stoxx 600 Index, der seit 2011 39 Prozent zulegte, während der Ossiam Stoxx Europe 600 Equal Weight ETF mehr als 58 Prozent gewann. Solche Strategien werden auch von Grossinvestoren angewendet. Der 3,4 Milliarden Euro schwere niederländische Pensionsfonds etwa setzt bei seinen europäischen und amerikanischen Aktienanlagen bereits seit 2011 auf Gleichgewichtungsansätze.

 Gerinige Volatilität

Die dritte Variante sind Indizes, die das Risiko reduzieren wollen. Das Hauptaugenmerk liegt also auf der Volatilität. Das höchste Gewicht in den «Low Volatility-Indizes» erhalten die Werte mit den geringsten historischen Schwankungen. Ein Beispiel dafür ist der SPDR S&P 500 Low Volatility ETF, der aus dem Index die 100 Unternehmen aufnimmt, die die geringste historische 252-Tages-Volatilität aufweisen. Problematisch sind dabei allfällige Branchen-Klumpenrisiken.

Abhilfe schafft der Ossiam iStoxx Europe Minimum Variance ETF. Dessen Vergleichsindex ist der Europe 600, aus dem monatlich mindestens 50 Werte mit der geringsten Volatilität ausgewählt werden. Darüber hinaus müssen die Titel ein bestimmtes Mass an Liquidität aufweisen. Zudem gibt es Auflagen bezüglich Gewichtung. Diese erfolgt nach dem Herfindahl-Index, der von einer Verteilung von Objekten auf mehrere Gruppen ausgeht. Gemäss dieser Regel darf eine Aktie nicht mehr als 4,5 Prozent, eine Branche nicht mehr als 20 Prozent Indexgewicht haben.

Einen etwas anderen Weg geht der iShares S&P 500 Minimum Volatility ETF. Zwar wird auch hier die niedrigste Renditevolatilität betrachtet, darüber hinaus gibt es aber bestimmte Beschränkungen bei der Risikodiversifikation wie beispielsweise Mindest- und Maximalbestand, Sektor- und/oder Ländergewichtung. Beispielsweise darf ein Sektor maximal fünf Prozent von der Gewichtung des Basiswertes abweichen.

Zudem blickt iShares nicht in die Vergangenheit, sondern prognostiziert die Volatilitäten und konstruiert danach das Portfolio. Durch eine komplexere Auswahl kann im Gegensatz zu den anderen Barometern gewährleistet werden, dass alle Sektoren vertreten sind und somit eine breite Diversifikation erzielt wird. Durch die Fokussierung auf weniger volatile Aktien werden besonders defensive Branchen wie Pharma oder Konsum stärker gewichtet.

Faktoren als Kriterium

Doch mit diesen drei Indexvarianten ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Immer neue Kreationen kommen auf den Markt, das neueste Schlagwort lautet Faktor-ETF. Die Deutsche Bank hat bereits solche Produkte lanciert, die Faktoren sind dabei Value, Qualität, Momentum und tiefes Beta. Die Idee von Aktienfaktoren erhielt im Zuge der Finanzmarktkrise grossen Zuspruch. Anlegern wurde bewusst, dass ihre Diversifikationsbemühungen nach Regionen und Anlageklassen nicht den gewünschten Erfolg brachten. Durch die Ausrichtung des Portfolios nach Aktienfaktoren soll eine verlässliche Risikostreuung erzielt werden.

Der db x-trackers Equity Low Beta Factor ETF setzt dem Namen nach auf Titel mit einem geringen Beta aus dem MSCI World. Beta ist eine Messgrösse für das Risiko, das aus der Abhängigkeit von allgemeinen Marktbewegungen entsteht. Ein tiefes Beta bezeichnet also eine geringere Volatilität oder eine geringere Korrelation zum Markt.

Auch iShares hat mit den Faktoren Qualität, Value, Momentum und Unternehmensgrösse bereits vier solcher ETF im Angebot. Für die Aufnahme in den MSCI World Quality Factor Index werden drei Qualitätssignale gleichgewichtet: die Eigenkapitalrendite, der Verschuldungsgrad und das Gewinnwachstum der vergangenen fünf Jahre.

Deutlich komplexer fallen die Multi Strategic Beta ETF von Amundi aus, die aus der strategischen Partnerschaft mit dem EDHEC Risk Institute Scientific Beta entstanden sind. Der Amundi Global Equity Multi Smart Allocation Scientific Beta UCITS ETF bildet den Scientific Beta Developed Multi-Beta Multi-Strategy ERC Strategieindex ab. Kombiniert werden dabei verschiedene Strategien für entwickelte Aktienmärkte weltweit. Ziel ist das Übertreffen des vergleichbaren nach Marktkapitalisierung gewichteten Index durch die Kombination der vier wesentlichen Risikofaktoren (Value, Momentum, Unternehmensgrösse, geringe Volatilität) mit fünf Diversifikationsstrategien. Das sind beispielsweise die Risikogleichgewichtung, die maximale Dekorrelation oder die maximale Diversifikation, wobei alle Diversifikationsstrategien auf die einzelnen Renditequellen angewendet werden.

Mit Bedacht einsetzen
Diese neuen Strategic-Beta-Konstruktionen sind für Anleger bereits sehr anspruchsvoll. Durch die Vielzahl an Auswahlkriterien wird es für sie immer schwieriger, die genaue Funktionsweise nachzuvollziehen. Und gerade das ist in diesem Segment entscheidend: Der Ansatz muss verständlich und mit dem eigenen Risikoprofil vereinbar sein. Denn wie erwähnt, gehen von den alternativen Gewichtungsfaktoren jeweils spezifische Risiken aus – ein Umstand, der in der Zukunft mehr Beachtung finden sollte.

Zwar locken die Produkte mit höheren  Renditen oder einem geringeren Risiko, dafür fallen jedoch höhere Kosten an. Durch ein konstantes Rebalancing ist bei Strategic Beta-ETF ein aktiver Handel der Werte nötig. Trotz all der spannenden Weiterentwicklungen dürfen besonders Kriterien wie Handelbarkeit, Liquidität und Transparenz nicht aus den Augen gelassen werden.


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