«Der Nachholbedarf ist enorm»

Karin Russell, Chefin von Amundi-ETF in der Schweiz über die aktuelle Lage an den Märkten und die Weiterentwicklungen des ETF Markts.

Text: Christian Euler
01-2017-Karin-Russell

Frau Russell, Amundi hat das vergangene Geschäftsjahr mit einem Rekordergebnis abgeschlossen, das verwaltete Vermögen ist von 21 auf 25 Milliarden Euro gewachsen. Wie sieht Ihre weitere Strategie aus?

Unser Ziel ist es, den Marktanteil im institutionellen Geschäft weiter zu steigern und gleichzeitig die Präsenz bei Distributionskanälen zu erhöhen. Da wir uns nicht direkt an Privatanleger richten, sprechen wir mit Banken, Vermögensverwaltern und Versicherungen, über die Anleger Zugang zu unseren ETF bekommen. Zudem werden wir 2017 weiterhin innovative ETF auf den Markt bringen, mit denen Kunden ihre Anlagebedürfnisse umsetzen können.

Mit welchen neuen Produkten dürfen die Anleger rechnen?

Unter anderem wollen wir den Obligationen-Bereich ausbauen. Nachdem Aktien ETF den Markt lange dominierten, sind Bond-ETF in den letzten Jahren stärker in den Fokus gerückt. Auch kann man mit einer Erweiterung der ESG-Produktpalette rechnen, die Umweltschutz, soziale Verantwortung und Unternehmensführung mitberücksichtigen. Last but not least gibt es im Bereich Smart Beta, den wir im vergangenen Jahr ausgebaut haben, neue Produkte in der Pipeline.

Kritiker halten Smart Beta für eine kurzfristige Modeerscheinung.

Es ist alles andere als das, sondern ein langfristiger Trend. Seien wir ehrlich: Diese Produkte werden schon lange angeboten und zwar meist in Form aktiver Strategien wie Value oder Growth. Neu ist jedoch der Begriff Smart Beta, durch den diesen Strategien mehr Aufmerksamkeit zukommt.

Welche neuen Segmente wollen Sie abdecken?

Wenn man dem Glauben schenkt, was Donald Trump propagiert, ist Infrastruktur ein wichtiges Thema. Das Angebot in diesem Bereich ist noch nicht sehr gross. Hier erwarte ich neue Produkte.

Welche weiteren Themen interessieren die Investoren?

2016 sind rund 40 Prozent der gesamten Neugelder im europäischen Markt in unsere ETF auf Schwellenländeraktien geflossen. Aktuell sind darin zwei Milliarden Dollar angelegt. Sehr beliebt ist auch der BBB Euro Corporate Investment Grade ETF, der Zugang zu renditestärkeren Obligationen bietet, ohne das Risiko von Hochzinsanleihen zu bergen. Dies war übrigens der erste ETF dieser Art auf dem Markt.

Was ist Ihr persönlicher Lieblings-ETF?

Die Zeit der Zinssenkungen ist vorbei. In den USA zeigt der Trend bereits nach oben. Ich mag daher besonders den Floating Rate Corporate USD ETF. Er kann eine Zusatzrendite liefern und bietet zugleich Schutz vor möglichen Zinserhöhungen. Es ist eines unserer erfolgreichsten Produkte. Im vergangenen Jahr haben wir damit 1,3 Milliarden Dollar eingesammelt.

Wie stehen die Anleger zu den europäischen Aktienmärkten?

Hier ist der Ausverkauf vorbei, die Zuflüsse an frischem Kapital sind im Zuge der positiveren Wirtschaftssignale wieder gestiegen – trotz der politischen Unsicherheiten.

Indexfonds bilden Marktbarometer genau wie ETF 1:1 ab. Was ist die bessere Wahl?

Beide ergänzen sich, selbst die Kosten unterscheiden sich meist nicht mehr. Anleger sollten sich daher fragen, welche Ziele sie haben. ETF lassen sich wie eine Aktie handeln und können jederzeit gekauft und verkauft werden, das schafft eine grössere Flexibilität. Indexfonds sind hingegen nur einmal pro Tag handelbar.

Was sollten Anleger bei Investments in ETF besonders beachten?

Sie sollten die Produkte vergleichen, sich die möglichen Gewinne und Verluste bewusst machen und sich fragen, was der jeweilige Index enthält. Der beste ETF ist immer derjenige, der den Zielen des Anlegers genau entspricht. Dabei sind viele Aspekte zu berücksichtigen und es gibt definitiv nicht die eine Lösung, die für alle passt.

Schweizer Sparer waren im vergangenen Sommer nur zu rund sieben Prozent in ETF investiert, während klassische Anlagefonds doppelt so häufig im Portfolio vertreten waren. Was macht aktiv gemanagte Fonds so attraktiv?

Verglichen mit klassischen Anlagefonds sind ETF noch relativ neu. Zudem wurden sie auf vielen Plattformen erst sehr spät aufgenommen und waren damit lange gar nicht verfügbar. Dieser Prozess ist im Wandel, der Nachholbedarf ist enorm.

Welche weiteren Wachstumstreiber sehen Sie?

Es ist einmal das zunehmende Produktangebot, etwa im Bereich Smart Beta oder auch bei nachhaltigen Anlagelösungen. Ausserdem bieten immer mehr Vermögensverwalter passive Produkte an, was früher eher selten war. Nicht zuletzt steigt aufgrund der weltweit strengeren Regulierung der Finanzbranche das Interesse an UCITS-Lösungen, die höheren Anlegerschutz geniessen.

Was bedeutet das für den ETF-Markt?

2016 flossen europäischen ETF 42 Milliarden Euro netto zu, sodass per Ende 2016 rund 515 Milliarden Euro investiert waren. Weltweit wuchs das in ETF angelegte Vermögen auf 3,4 Billionen Euro. Derweil geht die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers davon aus, dass der Markt für passiv gemanagte Produkte auf Sicht der nächsten fünf Jahre weiterhin um rund 15 Prozent pro Jahr wachsen wird.

Wo sehen Sie den Schweizer Markt in fünf Jahren?

Ich wünschte, ich hätte eine Kristallkugel (lacht). Aber ich gehe davon aus, dass die Schweiz in Sachen ETF in den kommenden Jahren ebenso stark wächst wie der Gesamtmarkt, also mit rund 15 Prozent pro Jahr.

*Karin Russell ist seit Oktober 2016 Head of ETF, Indexing & Smart Beta Sales bei Amundi Schweiz


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