«Der Vanguard-Effekt kommt den Anlegern zugute»

Für Andreas Zingg von Vanguard ist klar: Die genossenschaftliche Struktur seines Arbeitgebers hat nur Vorteile, denn so hat das Unternehmen seinen Fokus voll auf dem Kunden. Dieser Umstand kommt letztlich allen Investoren zugute.

Text: Pascal Hügli
Andreas Zingg

In der passiven Index-Welt hört man immer wieder vom Vanguard-Effekt. Was ist darunter zu verstehen?

Andreas Zingg Der Effekt beschreibt folgenden Zusammenhang: Lanciert Vanguard in einer Investment-Kategorie ein neues Produkt, fallen über die Zeit die durchschnittlichen Kosten der ETF in dieser Kategorie – zum Vorteil der Investoren. Ein gutes Beispiel liefert der S&P 500. Aufgrund einer Exklusiv-Lizenz gab es in Europa eine lange Zeit nur ein Produkt, das vierzig Basispunkte kostete. Nach Ablauf der Lizenz brachte Vanguard ein Produkt auf den Markt, worauf die Gebühren bis heute auf sieben Basispunkte zurückgingen.

Wie kommt es konkret zu diesem Effekt?

Nach der Lancierung eines günstigen Produktes warten die Konkurrenten in der Regel ab, wie sich die Zuflüsse in das neue Produkt entwickeln. Erst wenn das neue Produkt eine kritische Masse an Neuzuflüssen erreicht hat, passen Mitbewerber ihre Gebühren ebenfalls an.

Warum sorgt gerade Vanguard für diesen Effekt?

Für einen ETF-Anbieter, der bereits über einen hohen Marktanteil verfügt, ist es in der Regel nicht attraktiv, proaktiv kostengünstige Produkte zu lancieren. Das Risiko, dass sich ein Anbieter selbst kannibalisieren könnte, ist zu gross. Im Gegensatz zu anderen ETF-Häusern ist Vanguard genossenschaftlich organisiert und besitzt deshalb einen inhärenten Anreiz, die Gebühren tief zu halten.

Vanguard ist eine Genossenschaft?

Das Unternehmen ist keine Genossenschaft im eigentlichen Sinn, sondern genossenschaftlich organisiert. Es gibt keine Genossenschaftsscheine, die man erwerben kann, um Genossenschafter zu werden. Gemeint ist, dass Vanguard als Unternehmen den Fonds in den USA gehört. Wer also in den USA einen Fondsanteit kauft – ob im aktiven oder passiven Bereich –, wird Miteigentümer von Vanguard.

Im Gegensatz zu anderen ETF-Gesellschaften ist Vanguard also nicht selbst an der Börse kotiert?

Nein, eine Vanguard-Aktie gibt es nicht. Eigentümer und Kunden fallen bei Vanguard zusammen.

Und das ist ein Vorteil für Vanguard?

In der Tat. Ganz allgemein steht die Finanzindustrie heute vor folgendem Dilemma: Es ist unbestritten, dass sich hohe Produktkosten negativ auf die Performance auswirken. Für den Aktionär können hohe Produktkosten hingegen interessant sein, da sie dem Unternehmen Einkünfte bringen und der Eigentümer hohe Ausschüttungen erwarten kann. Dieser Interessenskonflikt besteht bei Vanguard nicht.

Hat diese Struktur auch Nachteile?

Ich sehe keine. Seit 1975 ist Vanguard organisch mit Abstand am stärksten gewachsen und ist heute der zweitgrösste Vermögensverwalter der Welt. Das zeigt: Die genossenschaftliche Struktur funktioniert. Sie schafft die Voraussetzungen, um vollständig im Interesse der Endkunden zu agieren.

Hat die genossenschaftliche Organisationsform etwas mit Gründer John Bogle zu tun?

John Bogle hat Vanguard seinerzeit mit diesem Anliegen gegründet. Sein Ansinnen war äusserst ungewöhnlich, weshalb der Regulator zuerst alles sorgfältig prüfen musste. Schliesslich gab er grünes Licht, stellte jedoch folgende Auflage: Vanguard müsse immer «at cost» operieren. Das heisst: Jegliche Gewinne müssen an die Kunden weitergereicht werden. Hierfür wurde Vanguard zwei Möglichkeiten zugestanden: das Senken von Gebühren oder das Investieren in bessere Dienstleistungen.

Muss Vanguard nicht immer neue Märkte angehen und bestehende Gebühren herausfordern, damit der Vanguard-Effekt auch in Zukunft noch trägt?

Natürlich prüfen wir bei Vanguard immer sorgfältig, in welche Produktkategorien wir noch vorstossen können. Doch rennen wir nicht blind jedem Trend nach. Ein Produkt sollte innerhalb einer ganzheitlichen Vermögensanlage Sinn machen.

Wann ist das der Fall?

Ein Produkt muss zum langfristigen Anlageerfolg des Investors beitragen, es muss also breit diversifiziert und günstig sein. Asset Management – insbesondere die Verwaltung von indexierten Anlagen – ist ein Skalengeschäft, das heisst, die Kosten sinken mit steigen dem Volumen. Für gewisse Nischenprodukte dürften die Skaleneffekte jedoch gar nicht zu realisieren sein. Da lassen wir
es bleiben, da wir unserer Philosophie ansonsten nicht Rechnung tragen könnten.

Welche Nischenprodukte sind das?

Vanguard hat zum Beispiel keine sogenannt inverse oder «geleveragete» ETF.

Synthetische ETF ebenfalls nicht. Warum?

Der Grund ist folgender: Wer einen synthetischen ETF aufsetzt, lagert das Asset Management für dieses Produkt an die Swap-Gegenpartei aus. Eine solche Vorgehensweise macht für Vanguard als Asset Manager keinen Sinn, weil das Asset Management ja gerade das Kerngeschäft des Unternehmens darstellt.

Eine Folge des Vanguard-Effektes ist ein regelrechter Preiskampf unter den ETF-Anbietern.

Geht es um die Kosten, wird Vanguard natürlich immer erwähnt. Doch führen wir keinen Preiskampf. Wir haben unseren Blick auf den Kunden und verschaffen ihnen günstige Angebote. Unsere genossenschaftliche Struktur erlaubt es uns, die Skaleneffekten vollumfänglich an unsere Kunden weiterzugeben. Unsere Strategie zur Kostenreduktion ist deshalb organisch und beständig.

Unbestritten ist: Das Forcieren der von Ihnen genannten Skaleneffekte führt dazu, dass die Verwaltungsgebühren auf breiter Front fallen. Ist bald einmal alles gratis?

Grundsätzlich gilt: Nichts ist gratis – auch nicht das Asset Management. Auch wenn sich die Kosten mittels Skaleneffekten stark drücken lassen, gewisse Kosten wie zum Beispiel die Löhne von Portfolio-Managern, Index-Lizenzgebühren oder Wertschriftenverwahrung fallen bei jedem Produkt an. Gratisprodukte sind deshalb in der Regel durch andere Produkte quersubventioniert.

Steht die Lancierung eines Gratis-ETF auch bei Vanguard zur Diskussion?

Nein, solche Gratisprodukte entsprechen nicht unserem Ansatz, weil uns diese Quersubventionierung nicht wirklich transparent erscheint. Persönlich bin ich der Meinung, dass Kunden gegenüber Gratisprodukten zurecht skeptisch sein müssen, da Finanzinstitute nun einmal keine Non-Profit-Organisationen sind.

Wo können die Gebühren in den nächsten Jahren noch fallen?

Obwohl die Gebühren in Europa auf einen Marktdurchschnitt von 28 Basispunkten gefallen sind, scheint mir da noch Spielraum vorhanden zu sein. Immerhin sind wir mit Vanguard auf europäischer Ebene bei durchschnittlich elf Basispunkten angelangt.

Sind die Löhne bei Vanguard im Vergleich zur Konkurrenz so viel tiefer, damit die niedrigen Gebühren ermöglicht werden können?

Vanguard will die besten Mitarbeiter, nur so können wir unser Leistungsversprechen einhalten. Wir bezahlen also marktgerechte Löhne. Unser Vorteil ist, dass wir nicht einen Teil unserer Bruttomarge an die Aktionäre abtreten müssen. Da heisst: Wir starten von einer viel tieferen Kostenbasis als unsere Mitbewerber.

Welchen weiteren gewichtigen Grund sehen Sie noch?

Wir versuchen unsere Skaleneffekte bestmöglich zu optimieren. Das durchschnittlich verwaltete Vermögen pro  Produkt bei Vanguard ist deutlich höher als der Industriedurchschnitt. So haben wir in Europa beispielsweise nur 25 ETF, auf die mehr als 40 Milliarden Dollar entfallen. Damit weisen Vanguard-ETF in Europa im Schnitt ein verwaltetes Vermögen von rund 1.6 Milliarden Dollar auf, während der Marktdurchschnitt bei 0.4 Milliarden Dollar liegt. Viele unserer Mitbewerber verzetteln sich. Die daraus folgende höhere Komplexität bedingt automatisch mehr Portfoliomanager und ist daher im Unterhalt wesentlich teurer.

Die voranschreitende Gebührenreduktion wird auch deshalb kritisch beäugt, weil sie eine Oligopolisierung des ETF-Marktes befördern soll, die in Zukunft höhere Preise zur Folge haben könnte.

Diese Befürchtung teile ich nicht. In dieser Diskussion wird häufig übersehen: Das passive Anlagegeschäft ist ein Skalengeschäft. Haben also einige wenige Anbieter dieses Geschäft perfektioniert, ist das positiv für den Endkunden. Solange es Vanguard gibt, ist die Gefahr höherer Gebühren unrealistisch. Würden wir unsere Gebühren dereinst auf breiter Front und anhaltend erhöhen, dann müsste der durch die höheren Gebühren entstehende Gewinn ja wieder an die Kunden weitergereicht werden, da wir ja zu Selbstkosten operieren müssen.

Kritisiert wird auch der Umstand, dass ETF-Gesellschaften, die mittlerweile zu den Grossaktionären gehören, ihre Stimmpflichten bei Unternehmensentscheidungen vernachlässigten.

Sie sprechen das Thema «Stewardship» an, das in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden ist. Da die ETF-Branche hier eine Verantwortung hat, hat sie reagiert. In den USA und Europa haben wir bei Vanguard entsprechende Teams aufgebaut. Dabei soll nicht in die Strategie der Unternehmen eingegriffen, sondern in allgemeinen Fragen zu Führungsprinzipien, Risikomanagement und Governance mitgeredet werden.

Kritiker beanstanden immer wieder, die zunehmende ETF-isierung würde den marktwirtschaftlichen Prozess der Preisfindung untergraben.

Die Kritik ist meiner Meinung nach durch die empirischen Befunde klar widerlegt. Vom gesamtem Handelsvolumen macht dasjenige indexierter Anlagen nur gerade fünf Prozent aus, während 95 Prozent auf aktiv verwaltete Portfolios entfallen. Mir erschliesst sich nicht, wie fünf Prozent des Marktes die Preise auf dem Gesamtmarkt bestimmen sollten. Die Fakten zeigen schwarz auf weiss: Die Preisfindung wird klar von aktiven Managern getrieben.

Andreas Zingg ist seit 2016 Head of ETF Sales Specialists Europe bei Vanguard Asset Management.


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