«Eine erneute Eurokrise ist wenig wahrscheinlich»

Geopolitisch ist viel ins Trudeln gekommen, was zu einem verhaltenen ersten Börsenhalbjahr führte. Anlageprofi Otto Waser blickt im Gespräch auf Krisenherde und auf Anlageopportunitäten.

Herr Waser, das Börsenjahr ist gut gestartet, und doch bebten die Märkte in den vergangenen Wochen einige Male. Waren Sie überrascht?

Nach dem guten Start im Januar war eine Korrektur absehbar. Dass sich aber so viele der angedachten Risiken wie USAussenhandelskonflikte, Wahlen in Italien, vorübergehender Anstieg der US-Inflation materialisieren würden, war nicht zu erwarten.

Wird 2018 trotzdem noch ein guter Jahrgang?

Aufgrund der guten Gewinnentwicklung im ersten Quartal werden die Schätzungen zurzeit nach oben revidiert. Dies sollte helfen, die Börsen bis Ende Jahr etwas höher zu tragen.

Derzeit scheint es, als ob politische Themen das Zepter übernommen hätten.

Politische Börsen haben meist kurze Beine. Wenn aber in einem EuroMitgliedsland eine europaskeptische Regierung das Zepter übernimmt, wie nun in Italien, dann sind die Märkte nervös. Andererseits ist der schwelende Aussenhandelskonflikt der USA mit dem Rest der Welt noch ein gutes Stück davon entfernt, die Weltkonjunktur zu beeinträchtigen.

Stellt die Italienkrise für die Aktienmärkte eine Gefahr dar?

Sie trägt zur Volatilität bei, eine nachhaltige Beeinträchtigung sehe ich jedoch nicht. Zwar ist ein Krach der neuen italienischen Regierung mit der EU wegen des expansiven Staatshaushalts vorprogrammiert. Ein Euro-Austritt wäre hingegen das Ende dieser Regierung und steht daher wohl nicht auf der Traktandenliste.

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr, dass die Unsicherheit in Italien auf andere Länder übergreift und das globale Wachstum bedroht?

Man muss berücksichtigen, dass weder bei den Staatsrechnungen noch bei den Leistungsbilanzen der wichtigen Euroländer – ganz anders als 2010 – grössere Ungleichgewichte bestehen. Damit ist eine erneute Eurokrise wenig wahrscheinlich. Auch ist eine eurokritische Regierung wie in Italien anderswo nicht absehbar. Podemos in Spanien etwa kommt in den Umfragen auf nur 20 Prozent Wähleranteil.

Der Franken hat gegenüber dem Euro wieder an Wert gewonnen. Droht er wieder stärker zu werden?

Bei 1,20 war viel Euro-Stärke eingepreist und mein mittelfristiges Fair-Value-Ziel von 1,20-1,25 fast erreicht. Einen wesentlich stärkeren Franken sehe ich zurzeit nicht. Falls doch, wäre dann aber auch wieder mit SNB-Interventionen zu rechnen, was zur Beruhigung beitragen würde.

Relevante Schwellenländer wie Argentinien, Brasilien oder Türkei stecken in der Krise. Hat dies eine Auswirkung auf die globale Konjunktur?

Argentinien (rund 0,7% der globalen Wirtschaftsleistung) und die Türkei (1,0%) sind Sonderfälle mit hohen Leistungsbilanzdefiziten, zweistelliger Inflation und einer beachtlichen Auslandsverschuldung. Brasiliens Problem ist der ausufernde Staatshaushalt, die Wirtschaft ist aber nur etwa so gross wie die von Italien. Das reicht nicht, um die globale Konjunktur aus den Angeln zu heben. Die asiatischen Schwellenländer, allen voran China (16% der Weltwirtschaft), präsentieren sich insgesamt recht stabil und wachsen zügig, China und Indien mit mehr als 6 Prozent.

Wie geht es mit den übrigen Schwellenländern weiter?

Normalerweise sprechen steigende US-Zinsen gegen Schwellenländer-Engagements. Während wir Börsen-Engagements in Lateinamerika und Osteuropa meiden, ist Asien auf Kurs, trotz einer Verschnaufpause seit Jahresbeginn. Bei den EmMa-Währungen und -Bonds in Dollar ist oft eine Ansteckung zu beobachten, die diesmal aber eher der Finanzmarktverflechtung als generell schwachen Fundamentaldaten geschuldet ist.

Wie geht die Politik der US-Notenbank weiter?

Wir sehen eine Zinserhöhung pro Quartal, auch im nächsten Jahr.

Würden weitere Zinserhöhungen den Schwellenländern nicht noch mehr schaden, da sie gegenüber den USA teilweise hoch verschuldet sind?

Das gilt der Tendenz nach für Osteuropa und Lateinamerika, aber weniger für Asien, wo die Auslandsverschuldung nach der schmerzlichen Erfahrung der Asienkrise von 1997 deren Verschuldungsniveaus nie mehr erreicht hat.

Die Wirtschaftsdaten in den USA zeigen eine solide Konjunkturentwicklung. Die Höchstwerte der USNebenwerte zeigen sich auch im Russell 2000. Wo sehen Sie Chancen und Gefahren?

Aufgrund vieler interessanter Unternehmen, gerade im Technologie-Bereich, kommt man auch als Europäer nicht am US-Markt vorbei. Die grosse Frage in den USA ist, wie lange der konjunkturelle Aufschwung, der gerade ins zehnte Jahr geht, noch dauern kann. Wir haben immer noch zu wenig Anhaltspunkte, die auf ein Ende der Hausse hindeuten. Anders als oft gedacht, sind Phasen steigender Fed-Zinsen auch nicht mit besonders hohen Börsenrisiken verbunden, sondern mit positiven, wenngleich unterdurchschnittlichen Erträgen. Das Problem kommt meist hinterher, wenn die geldpolitische Straffung beendet ist, worauf dann meist eine Rezession folgt.

Im S&P 500 dominieren Tech-Stocks immer stärker, allen voran die FANG. Sind diese Aktien überbewertet?

Facebook und Google sind mit Kurs-GewinnVerhältnissen von rund 25, gemessen an ihrem Wachstum, nicht klar überteuert. Netflix und Amazon hingegen schon, aber das schon seit vielen Jahren.

Der Höhenflug des Erdöls wurde gestoppt. Kommt es zu einer schnellen Erholung?

Wir sehen mittelfristig den Gleichgewichtspreis von Erdöl nicht über 60 US-Dollar pro Fass. Damit können Konsumenten und Produzenten gut leben. Für die Weltwirtschaft wären Extreme, also 100 Dollar oder 30 Dollar, problematisch.

Auch in der Schweiz haben sich, gemessen am SPI Small und Mid, die Aktien klein- und mittelgrosser Firmen besser als die Large Caps entwickelt. Geht diese Entwicklung noch weiter?

Der Tendenz nach schon, da die grössten Unternehmen defensiv sind und der Pharmasektor mit Problemen zu kämpfen hat, vor allem Roche hat Schwierigkeiten, mit seiner Pipeline zu überzeugen.

Welche Sektoren oder Titel in der Schweiz sind derzeit aus Ihrer Sicht attraktiv?

Nach dem verhaltenen ersten Halbjahr ist die Auswahl wieder besser. Im Finanzsektor passen mir Julius Baer, Swiss Re, Helvetia und Zürich. Unter den SMI-Werten sehe ich auch Potenzial bei Nestlé, Givaudan, Richemont und Geberit. Bei Sika stimmt die Story, die Aktie ist aber vorübergehend zu weit gegangen. Unter den Kleineren gefallen mir Also und Phoenix Mecano.

Der Bankensektor hat sich im Vergleich zu den Versicherungstiteln bedeutend schlechter entwickelt. Sind Bankaktien überhaupt noch spannend?

In Europa ist es tatsächlich schwierig, eine wachstumsstarke Bankaktie zu finden. In den USA sieht das Bild besser aus, etwa mit JPMorgan oder dem Vermögensverwalter BlackRock.

Otto Waser ist Mitgründer und Partner bei der R & A Group, einem Anbieter von Research- und Vermögensverwaltungsdienstleistungen


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