Faktoren als Renditebringer

Die ETF-Branche erweitert ihre Palette durch eine weitere Innovation und macht Faktoren investierbar. Diese Strategien bieten je nach Marktphase zwar eine höhere Risikoprämie, doch hohe Kosten könnten die Überrenditen schnell auffressen.

Text: Barbara Kalhammer

Börsenexperten sind sich selten einig. Eine Ausnahme, die jeder Experte sofort unterschreiben würde, gibt es: Diversifikation ist Trumpf. Schon Nobelpreisträger Harry M. Markowitz sagte: «Diversification is the only free lunch.» Anleger denken dabei in erster Linie an eine Streuung der Investitionen über verschiedene Anlageklassen wie Aktien, Ob­ligationen, Rohstoffe oder Immobilien. Doch das reicht bei weitem nicht. Während der Fi­nanzkrise schützte nicht einmal eine breitere Diversifikation über Länder und Branchen vor hohen Verlusten, da die Investitionen stär­ker korrelierten als gedacht.

Es gibt aber durchaus Wege, sein Portfo­lio mittels Aktienfaktoren zu erweitern. Durch den Fokus auf solche Faktoren wie Unterneh­mensgrösse, Value, Qualität, Momentum und geringe Volatilität, können Anleger mit einer grösseren Risikobereitschaft mit höheren Ren­diten rechnen, was angesichts des tiefen Zins­umfeldes an Bedeutung gewinnt. Ein Faktor-ETF setzt sich aus zwei Bausteinen zusammen. Zuerst wird ein Faktor, wie beispielsweise Va­lue, bestimmt, welchem der ETF möglichst in hohem Masse ausgesetzt sein soll, indem die Gewichtungsmethode nicht wie traditionell mittels des Marktwertes, sondern anhand alter­nativer Kriterien definiert wird. Das kann über minimale Volatilität bis hin zur Maximierung der Sharpe Ratio sein. Diese beiden Elemente ergeben dann einen Smart-Beta oder auch Al­tenative-Beta Index.

Gemäss Thomas Merz, Europachef des UBS-ETF Geschäfts, macht es Sinn, die klassi­sche Auffassung der Diversifikation über An­lageklassen und Regionen hin zu einer stärker faktorgetriebenen Ausrichtung auszuweiten. Bereits in den 1960er-Jahren entwickelte Wil­liam F. Shape das Capital Asset Pricing Modell (CAPM). Dessen Hauptaussage ist, dass eine positive Beziehung zwischen Ertrag und Risiko besteht. Im Detail heisst das, dass je höher der Beta-Faktor im Verhältnis zum Gesamtmarkt ausfällt, desto höher sollte der langfristig zu er­wartende Ertrag ausfallen. Es hat sich jedoch seit längerem gezeigt, dass zahlreiche Faktoren existieren, die ebenfalls einen Einfluss auf die zu erwartende Aktienrendite haben.

AmW-Faktoren-ChartProfessor Sanjoy Basu zeigte, dass sich Value-Titel, also Aktien mit einem niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnis, an der Börse besser entwickeln als jene mit einem höheren KGV. Solche Substanzwerte sind in der Regel weni­ger ertragsstark und zeichnen sich durch ein höheres Risiko sowie eine höhere Volatilität aus. Den Grösseneffekt entdeckte der Schwei­zer Rolf W. Banz bereits 1981. Dieser besagt, dass Werte mit einer niedrigen Marktkapita­lisierung gegenüber grossen Titeln besser ab­schneiden. Dieser Small-Cap-Effekt ist nicht mit dem CAPM-Modell erklärbar, er beruht also nicht allein auf einem höheren Beta der kleineren Werte gegenüber dem Gesamtmarkt und liefert daher eine eigene Risikoprämie.

Weitere Belege, dass der Beta-Faktor einen geringen Beitrag zur Erklärung von Ak­tienrenditen leistet, lieferten die Ökonomen Eugene Fama und Kenneth French mit ihrem Dreifaktorenmodell. Ihrer Ansicht nach lässt sich die Rendite des Gesamtmarktes in Risi­kofaktoren wie Grösse und Value unterteilen. Der Erkenntnisgewinn: Durch die Nutzung solcher Faktoren können bei Investitionen at­traktive Risikoprämien generiert werden.

Lange Zeit wurden solche Strategien vor allem von aktiven Fondsmanagern umge­setzt. Mittlerweile berechnet der Indexanbie­ter MSCI mehrere Indizes, um die einzelnen Risikofaktoren abzubilden. Diese Barometer können mit ETF effizient abgebildet werden. So können Anleger entweder ein bestehendes Portfolio ergänzen oder ein neues, aufbauend auf den Faktoren, zusammenstellen. So sieht der ETF-Profi Merz, dass diese Vehikel vor allem als Ergänzung genutzt werden dürften. So kann mit Low-Volatilitäts-Produkten bei­spielsweise das Beta einer Investition gesenkt werden, da ETF auf Low–Volatilitäts-Indizes gegenüber Gesamtmarktindizes durch­schnittlich tiefere Betas besitzen.

Je nach Marktlage macht es Sinn, ver­schiedene Strategien in Betracht zu ziehen. Value, Momentum und Small Caps haben sich in der Vergangenheit beispielsweise prozy­klisch entwickelt. Sie lieferten somit Risiko­prämien, obwohl Wachstum, Inflation und Zinsen stiegen. Bei schwächeren Rahmen­bedingungen entwickelten sich Quality und Low Volatility besser. Durch die Kombination von verschiedenen Faktoren kann der Diver­sifikationseffekt verstärkt werden.

Anleger sind somit gezwungen, ihre Investitionen genau zu timen. Das wiederum macht den Einsatz der Produkte nicht ein­facher. «Problematisch ist, dass das Perfor­mance-Beta der Faktoren nicht immer gleich ist. In einer Marktphase entwickelt sich Mo­mentum besser, in einer anderen Small Caps. Das zu prognostizieren ist schwierig, und An­leger müssen Market-Timing betreiben», sagt Alex Hinder, CEO von Hinder Asset Manage­ment. Wichtig sei zudem, dass die Bausteine von der Methodologie her ins Portfolio pas­sen. Denn nicht alle Faktor-ETF brechen mit der klassischen Marktkapitalisierung. Dazu zählen beispielsweise ETF, die auf eine tiefe Marktkapitalisierung abzielen. Die Gewich­tung der einzelnen Indexbestandteile er­folgt, indem lediglich die kleineren Firmen aus dem Gesamtmarkt im Index enthalten sind.

Umschichtungen kosten Rendite

Ein anderer Weg ist die Gewichtung nach be­stimmten Kriterien. So werden bei MSCI die Welt-Indizes für den Value-Faktor nach Buch­wert, Kurs-Gewinn-Verhältnis, freiem Cash­flow und Enterprise-Value gewichtet. Dabei müsse das Ranking teilweise mehrmals im Jahr neu berechnet und angepasst werden, sagt Merz. «Das muss man stark im Auge behalten, denn hier können unter den verschiedenen ETF grosse Unterschiede zu Tage treten. Nicht jeder Value ETF benutzt die gleich gute Faktor- Rankingmethode.» Ein zu starker Fokus auf den Faktor kann aufgrund der Umschichtun­gen die Überrendite zunichtemachen. Diesen Aspekt sieht auch Hinder als grösste Schwie­rigkeit. Die Anpassungen verursachten hohe Kosten, zudem bestehe immer das Risiko, die guten Faktoren der Vergangenheit zu stark zu gewichten. Spannend erachtet er allerdings die Themen Small Cap und Value.

Anleger müssen also selbst in Aktion treten und die für die Marktlage passenden Fakto­ren selektieren. Dieser Problematik haben sich einige Anbieter bereits angenommen: Mit einer Kombination der Strategien versuchen sie, eine geglättete Wertentwicklung zu errei­chen. Eine solche Kombination kann in einem gemeinsamen Index den Tracking Error des Gesamtportfolios reduzieren. Das Forschungs­institut Edhec ist führend in Untersuchungen in den Bereichen Asset Management und Al­ternative Investments. Das Institut berechnet beispielsweise den Risikoprämien-Index für die Amundi-ETF. Dabei werden Faktoren wie Low Volatility, Midcaps und Momentum kom­biniert. Der von Source angebotene Goldman- Sachs-Equity-Factor-World-ETF bezieht zusätz­lich den Faktor Qualität mit ein.

Hinder als auch Merz sehen solche Indizes eher kritisch. «Man vertraut einer Blackbox», sagt Hinder. Merz ergänzt: «Die Frage stellt sich, ob das zugrunde liegende Modell, welches in den unterschiedlichen Marktphasen die Faktorgewichtungen defi­niert, nicht nur im Backtest, sondern auch in der Zukunft bei veränderten Marktbedin­gungen Bestand hat.»

Die ETF-Branche hat sich Einfachheit auf ihre Flaggen geschrieben. Auch wenn Pro­duktinnovationen zu begrüssen sind, machen solche Vehikel es für Anleger immer schwieri­ger, die Produkte sinnvoll einzusetzen. Faktor- ETF sollten darum wirklich nur als Ergänzung dienen. Wer sich auf sie einlässt, sollte unbe­dingt unter die Motorhaube schauen und die Kosten genau im Blick behalten. Andernfalls lohnt ein solches Investment nicht.

Der Beitrag erschien in der Verlagsbeilage «Anlegen mit Weitsicht» in der Finanz und Wirtschaft am 19.09.2015.


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