«Geld ist das Blut der Wirtschaft»

Adamant-Capital-Gründer Tuur Demeester über Bitcoin, seine geldtheoretische sowie -geschichtliche Bedeutung und das revolutionäre Potenzial der Kryptowährung.

Text: Pascal Hügli

Wie haben Kryptowährungen, insbesondere Bitcoin, das Verständnis von Geld verändert?

Bitcoin zeigt uns, dass Hayeks vorgeschlagene Entstaatlichung des Geldes nicht nur ein Hirngespinst ist. Zudem stellt er auch die Idee in Frage, wonach die Geldmenge zwingend bürokratisch verwaltet werden muss. Bitcoin beweist, dass Geld knapp, dezentralisiert, marktbasiert, zensurresistent, politisch neutral und verifizierbar sein kann.

Gemäss Theorie soll Geld Rechnungseinheit, Wertaufbewahrungs- und Tauschmittel gleichzeitig sein. War und ist das nicht ein Widerspruch?

Wie der klassische Ökonom Stanley Jevons beschrieben hat, sind die vier Merkmale des Geldes in Wirklichkeit vier aufeinanderfolgende Stufen der Evolution. Erstens, Sammlerstücke. Zweitens, ein Wertspeicher. Drittens, das Tauschmittel. Und schließlich, viertens, die Rechnungseinheit. Wenn Bitcoin vollwertiges Geld werden soll, muss es alle vier Stufen durchlaufen.

Muss Geld als Schmieröl für eine funktionierende Wirtschaft nicht über eine flexible Angebotsmenge verfügen?

Diese Vorstellung von Geld als Schmieröl für die Wirtschaft ist eine der schädlichsten Analogien aller Zeiten. Wenn man die Geldmenge erhöht, verursacht das nur eine Fehlallokation von Kapital, weil Erstempfänger des neuen Geldes mehr Kaufkraft erhalten als Spätempfänger. Eine Angebotsausweitung der Geldmenge erhöht nicht auf magische Weise den Wohlstand. Die Realität ist, dass die Nachfrage nach Geld immer unendlich ist. Sollen wir also unendlich viel Geld drucken? Natürlich nicht! Geld ist ein Kommunikationsmittel, das Blut der Wirtschaft. Um Preisfindung zu ermöglichen, reicht ein festes Geldangebot vollkommen aus. Solange die Geldeinheit ausreichend teilbar ist, sind keine Änderungen in der Geldmenge erforderlich.

Wer entscheidet, was das optimal fixierte Geldangebot ist? Satoshi? Der Markt? Im letzteren Fall kann die Geldmenge nicht im Voraus festgelegt werden, da es sonst keinen Entdeckungsprozess geben könnte, da das Angebot ja schon feststünde.

Bitcoin ist ein Mechanismus zur effizienten Umwandlung von Energie in finanzielle Verlässlichkeit. Wenn der Markt entscheidet, dass er die atomaren Eigenschaften von Bitcoin mag, dann muss er seine fest programmierte Finanzpolitik akzeptieren. Der Markt hat sich – das sind historische Fakten – für Gold als Sachgeld entschieden. Dabei hatte er keine andere Wahl, als die besonderen physischen Eigenschaften und die Knappheit von Gold zu akzeptieren. Ich glaube, zum heutigen Zeitpunkt ist keine vernünftige Debatte möglich. Sparer werden knappe Vermögenswerte gegenüber nicht knappen Vermögenswerten immer bevorzugen. Somit wird die Nachfrage nach Bitcoin Anlagen mit flexiblerer Angebotsstruktur den Rang langfristig ablaufen.

Was als Wertaufbewahrung dient, wird gehortet und eignet sich daher schlecht als Tauschmittel. Sehen Sie diesen Widerspruch nicht?

Nein. Wenn etwas eine Wertanlage ist, bedeutet das, dass es über eine Optionalität verfügt. Vergleichen Sie es mit jener potenziellen Energie, die in einem Pfund Schiesspulver gespeichert ist. Ein sehr mächtiges Werkzeug. Doch ist das gleiche Pfund, wenn es in Gewehrkugeln steckt, wahrscheinlich noch viel mächtiger, weil die potenzielle Energie auf Abruf vollständig freigesetzt werden kann. Es sind keine zeitaufwändigen Anstrengungen zur Vorbereitung des Schiesspulvers für den Einsatz erforderlich. Und je liquider ein Vermögenswert ist, desto besser wird er als Wertaufbewahrungsmittel funktionieren. Wenn ein Vermögenswert als Tauschmittel fungiert, bedeutet das nur eines: Er hat eine so hohe Liquiditätsschwelle erreicht, dass er nun effektiv und effizient als Wertträger getauscht werden kann.

Gibt es nicht dennoch Anreize, Bitcoin zu horten? Schliesslich gilt er als größter Wertspeicher, der je konzipiert wurde.

Horten ist nur ein abfälliges Synonym für Sparen. An Sparen ist nichts auszusetzen, im Gegenteil: Sparen ist der eigentliche Motor für jegliches nachhaltiges Wirtschaftswachstum. In einer Welt des harten Geldes stammt die gesamte wirtschaftliche Entwicklung von Investitionen. Und die erfordern nun mal Ersparnisse.

Um auf die Analogie von oben zurückzukommen: Können «gehortete» Bitcoineinheiten als eine Unmenge potenzieller Energie gesehen werden, die beliebig freigesetzt werden kann?

Ja. Betrachten Sie diese als potenzielle Kaufkraft, die geduldig darauf wartet, Märkte wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Diese Energie wird insbesondere dann eingesetzt, wenn die Märkte unterbewertet sind. Dies, weil Investoren nicht bereit sind, den Unternehmen neues Kapital zur Verbesserung der Produktion und Erhöhung der Effizienz zur Verfügung zu stellen. Und das, obwohl die Verbraucher eigentlich genügend Nachfrage und Kaufkraft hätten, um diese Unternehmen nachhaltig wachsen zu lassen. Außerdem ist es eine Illusion, dass alle Bitcoin gehortet werden. Der Mensch ist sterblich. Daher gibt immer einen Preis, zu dem er bereit wäre, einen Teil seines liquiden Vermögens zu verkaufen.

Bitcoin ist vielleicht nicht kurzfristig preisstabil, aber langfristig werterhaltend. Müssen wir im Zeitalter von Bitcoin zwischen stabilem und hartem Geld unterscheiden?

Stabiles Geld wird meiner Meinung nach immer ein Hirngespinst sein. Alle Vermögenswerte, die frei auf dem Markt handeln, haben einen schwankenden Preis, einschliesslich Geld. Wenn die natürliche Volatilität eines finanziellen Vermögenswertes künstlich allzu lange unterdrückt wird, dürfte das letztlich zur Hyper-Volatilität führen.

Die Stabilität im Falle von Fiat-Währungen ist also nur eine Illusion, die irgendwann entlarvt wird?

Jedes Geld, das vorgibt, gegenüber einem anderen Vermögenswert oder einem Korb von Vermögenswerten einen stabilen Preis zu halten, wird irgendwann Probleme haben. George Soros demonstrierte eindrücklich, dass feste Währungsanbindungen nicht nachhaltig sind, als er die Bank of England in die Knie zwang.

Ist stabiles Geld zumindest eine notwendige Illusion, damit Produzenten und Verbraucher ihre Vermögenswerte berechnen und ihr Geschäft steuern können?

Es kommt darauf an, wie sie «stabil» definieren. Wenn ein Vermögenswert extrem volatil ist, wird er als Rechnungseinheit natürlich nicht sehr nützlich sein. Anderseits könnte die Volatilität darin begründet sein, dass er noch nicht reif genug ist. Rohstoffe mit stabilem Angebot und relativ stabiler Nachfrage, die sich im Besitz von Hunderten von Millionen von Anlegern befinden und täglich gehandelt werden, sind ziemlich preisstabil. Zyklen werden nicht verschwinden. Das ist nicht ideal – aber das Beste, was wir haben können.

Wie ist Bitcoin in Bezug auf ökonomische Denkschulen wie den Keynesianismus oder die Österreichische Schule der Nationalökonomie einzuordnen?

Ich denke, Bitcoin hat die Regressionstheorie der Österreichische Schule widerlegt: Geld muss nicht von einer Ware herkommen. Gleichzeitig widerlegt Bitcoin den keynesianischen Irrtum, wonach Schulden der Motor des Wirtschaftswachstums sind. Tatsächlich sind es Ersparnisse, und die florierende Bitcoin-Wirtschaft ist ein grossartiges Beispiel dafür.

Besagt das Regressionstheorem nicht einfach, dass etwas einen gewissen Gebrauchswert haben muss, damit es sich zu Geld entwickeln kann? Wie bei allem ist auch der Gebrauchswert von Bitcoin subjektiv – es besteht also kein Widerspruch.

Richtig! Ich habe mich zu grobschlächtig ausgedrückt, als ich von «Ware» statt «ökonomischem Gut mit Gebrauchswert» sprach. Hintergrund dieser Diskussion ist, dass Carl Menger als erster Ökonom der österreichischen Schule die historischen Ursprünge des Geldes beschrieben hat. Das heisst, dass sämtliche Währungen wahrscheinlich auf Märkten entstanden, auf denen sie bereits einen gewissen Wert hatten, bevor sie als Tauschmittel verwendet wurden. Und dann kam sein Schüler Ludwig von Mises und meinte, dieser Wert bedeute, dass dieses «Vorgeld-Gut» einen gewissen Nutzen gehabt haben muss. österreichische Dogmatiker haben darum ein Problem mit Bitcoin: Sie erkennen nicht, dass Gebrauch und Nutzen ein subjektives Phänomen sind. Die Verwendung von Bitcoin als Sammlerstück zwischen 2009 und 2011 ist ein durchaus gültiger Verwendungszweck in Anbetracht der subjektiven Werttheorie.

Wie wird Bitcoin die Weltwirtschaft verändern?

Meiner Meinung nach wird sich die wirtschaftliche Freiheit und der Wohlstand der Menschen durch Bitcoin verbessern. So wie die Effizienzsteigerung durch Druckerpresse, Strom und Internet die Welt zu einem besseren Ort gemacht hat. Zudem dürften durch Bitcoin mehrere Monopole in Frage gestellt und gebrochen werden, was den heutigen semisozialistischen Kapitalismus umkrempeln wird.

Welche Monopole meinen Sie?

Ich denke vor allem an die Finanzdienstleistungsbranche, die die Ausgabe von Geld und Krediten umfasst. Aufgrund des heutigen öffentlich-privaten Geldmonopols ist diese Industrie stark zentralisiert, mit vielen Ineffizienzen als Folge. Zudem denke ich, dass der Konjunkturzyklus von der Kreditausweitung durch Geldmengenvermehrung ausgeht, was zu einer Fehlallokation des Kapitals in der gesamten Wirtschaft führt. Das schliesslich führt zu einer Blase mit nachfolgender wirtschaftlicher Rezession oder sogar Depression.

Bitcoin stösst in etablierten und staatstragenden Bereichen noch immer auf viel Ablehnung. Sehen Sie Parallelen dazu, wie Feudalherren seinerzeit auf die industrielle Revolution reagierten?

Ich tendiere zu einer Analogie mit der Reformation. So wie die Druckmaschine den Menschen ermöglicht hat, schnell und kostengünstig ihre guten Ideen zu teilen, ermöglicht Bitcoin den freien Fluss und die Lagerung von Kapital wie nie zuvor. Ähnlich wie die Katholische Kirche im 16. Jahrhundert sind Zentralbanken und Finanzinstitute heute in der Zwickmühle. Wenn sie sich Bitcoin positiv nähern, werden sie von Kritikern in Verlegenheit gebracht, indem sie auf Inkonsistenzen in ihrem Handeln aufmerksam machen. Wenden sie sich ab, laufen sie Gefahr, ignoriert zu werden und als alte, veraltete Dinosaurier angesehen zu werden.

Was ist mit der physischen Privatsphäre, ist sie tot?

Ich glaube überhaupt nicht, dass die Privatsphäre tot ist, wenn es auch tatsächlich einen Kampf um Online-Identitäten gibt. Hier haben sich zuletzt Projekte eingemischt, die unter dem Schlagwort selbstsouveräne Identität auftreten.

Was ist von dieser Idee zu halten? Taugen Bitcoin oder andere Blockchain-Projekte dafür?

Ich könnte falsch liegen, aber ich glaube nicht, dass selbstbestimmte Identitätsdaten direkt auf Blockchains gespeichert werden. Ich stelle mir vor, dass Leute «Schlüsselbanken» verwenden werden, die Teile eines Multi-Signatur-Verschlüsselungssystems speichern können, um so Online-Identitäten sicher zu verwahren. Man könnte die Schlüssel zur Verwahrung auch mit der Familie oder Freunden teilen. Die Bitcoin-Lightning-Technologie könnte möglicherweise eine Rolle spielen bei der Kompensation von Individuen oder Entitäten für die Speicherung der Schlüssel, die dazu beitragen, die selbstbewusste Identität verwahren zu können.

Was halten Sie von der Blockchain-Technologie generell? Gibt es nur Bitcoin oder wird es langfristig noch andere interessante Dinge geben?

Ich denke, dass es in Zukunft mehrere Kryptowährungen geben wird. Das gesagt, glaube ich, dass der Marktanteil von Bitcoin im Bereich von 80 bis 90 Prozent liegen wird. Private Blockchains sind meiner Meinung nach ein Irrtum: Zugelassene Datenbanken mit bestimmten Signaturschemata gibt es schon seit langem. Was öffentliche Blockchains betrifft, die für grundsätzlich andere Zwecke als die sichere Abwicklung von Transaktionen konzipiert sind: Ich weiss es nicht. Und im Moment sehe ich keine Blockchains, die mich interessieren.

Satoshi hat somit alles richtig gemacht?

Satoshis Code war nicht perfekt, doch er legte eine ausreichend gute Grundlage. Aber selbst nach zehn Jahren Entwicklung muss noch viel Arbeit geleistet werden, um das Bitcoin-Protokoll so weit zu bringen, dass es eine ähnliche Reichweite und gesellschaftliche Integration aufweist wie beispielsweise das World Wide Web.

Sind die westlichen Nationalstaaten an ihre Grenzen der (sozialen) Skalierbarkeit gestossen und neigen daher ihrem Ende zu?

Ich glaube nicht, dass die Nationalstaaten bald zu einem Ende kommen. Gleichwohl dürfte die Einführung Bitcoins ihre Fähigkeit, Geld auszugeben und zu drucken, immer wie mehr einschränken. Die Europäische Zentralbank hat diesen Verlust bereits in ihrem Bericht über Bitcoin aus dem Jahr 2012 angedeutet, in dem sie darauf hinwies, dass in einem solchen Szenario die Seigniorage-Einkommensströme gefährdet sein könnten. Mit anderen Worten: Es ist durchaus möglich, dass Regierung gerade ihren Zenit erreicht haben.

Es gibt das Argument, wonach westliche Nationalstaaten heute nur deshalb so vorherrschend sind, weil sie im Grunde genommen unbegrenzt Geld ausgeben und es sich auch selbst drucken können.

Die Herausforderung bei staatlich ausgegebenem Geld besteht in der Tat darin, dass es eine nahezu unbegrenzte Gewinnmaximierung ermöglicht, einen monopolistischen Dienstleister (Fiat Banking), der einen immer höheren Preis für das Privileg von Finanztransaktionen und Investitionen verlangt. Bitcoin stellt dieses Monopol in Frage.

Tuur Demeester ist der Gründer von Adamant Capital, einer US-amerikanischen Investmentgesellschaft. Sein Interesse gilt der Österreichischen Schule – und Bitcoin. Tuur entdeckte die Kryptowährung während einer Forschungsreise in Argentinien und begann im Januar 2012 Bitcoin, in Bitcoin zu investieren. Der Preis der Kryptowährung damals: fünf Dollar.


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