«Ich mahne zur Vorsicht»

Peter Bänziger, Anlagechef bei Swisscanto, wirft einen Blick auf die konjunkturellen Entwicklungen und beleuchtet die Aussichten für die Aktienmärkte.

Text: Barbara Kalhammer

Herr Bänziger, die Konjunktur in der Eurozone schwächelt weiterhin. Warum will das «Entertainment-Programm» der EZB für die Finanzmärkte nicht fruchten?

Es ist tatsächlich so, dass sich die Konjunktur in der EU über die Sommermonate hinweg nicht gerade günstig entwickelt hat. Die Ursache dafür findet sich zum einen in den hausgemachten Problemen von Italien und Frankreich. In Frankreich ist das Wachstum sehr schwach und die Inflation sehr niedrig. Während andere Krisenländer wie Spanien sich erholen, ist Italien zum dritten Mal seit 2008 in eine Rezession geschlittert. Zusätzlich hat sich die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands deutlich abgeschwächt. Verantwortlich für die Delle ist weniger die Politik der Europäischen Zentralbank, sondern es sind eher die Krisen in der Ostukraine und in Russland.

Schwarzmaler sehen bereits ein erneutes Abrutschen in die Rezession. Wie dunkel sind die Wolken tatsächlich?

Diese Schwarzmaler haben aller Voraussicht nach nicht Recht. Wir erwarten für die gesamte Eurozone ein Wachstum von etwa 0,5 Prozent. Verhindert wird das Abrutschen erstens durch die Lokomotive USA, die die Weltwirtschaft kräftig unterstützt, und zweitens durch den schwachen Euro.  Für einen Auftrieb der Konjunktur sorgen aber auch die stark gesunkenen Rohstoffpreise.

Die alten wie auch neuen Sorgenkinder sind Frankreich und Italien. Wo liegen hier die grössten Schwierigkeiten?

Die Probleme liegen in der mangelnden Reformbereitschaft und auch in der Durchsetzungskraft. Man kann den neuen Regierungen Matteo Renzi in Italien und Manuel Valls in Frankreich zwar Bemühungen und guten Willen unterstellen, allerdings blockieren die Parlamente in beiden Staaten dringend notwendige Reformschritte. Das betrifft vor allem eine Flexibilisierung der schwerfälligen Arbeitsmärkte.

Blickt man über den grossen Teich, zeigt sich ein völlig anderes Bild. Trügt dies?

Nein, das trügt nicht, das Bild ist sehr rosig. Es gibt zum einen sehr positive Signale vom Arbeitsmarkt, mit einer deutlich sinkenden Arbeitslosenrate, und zum anderen sprudelnde Unternehmensgewinne auf Rekordhochs. Unterstützt wird die Entwicklung von der enormen Innovationskraft der US-Unternehmen.

Für die Eurozone ist der schwache Euro von Vorteil. Und für die Schweiz?

Für die Schweiz ist diese Schwäche positiv, solange die SNB an der Euro-Untergrenze von 1,20 festhält. Diese hat bewirkt, dass der Dollar zum Franken in den vergangenen sechs Monaten fast 10 Prozent gestiegen ist. Davon profitieren natürlich die Schweizer Exporteure.

Aufsehen erregten zuletzt einige grosse Börsengänge. Sind die Bewertungen von Alibaba und Co. nicht übertrieben?

Bei Alibaba handelt es sich um einen Sonderfall. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von etwa 38 für 2015 ist das Unternehmen stattlich bewertet. Schätzungen gehen von einer Verdoppelung der Gewinne bis 2018 aus. Dann wäre die Aktie fair bewertet. In diesem Titel steckt somit eine Menge Hoffnung auf eine gute Zukunft. Das gleiche gilt für andere Börsengänge in diesem Bereich.

Der US-Leitindex S&P 500 klettert von einem Hoch zum nächsten. Auch weiterhin?

Wie lange der Aufwärtstrend noch anhalten wird, ist tatsächlich die grosse Frage. Wir stellen fest, dass der Trend intakt ist, aber die Marktbreite deutlich nachlässt. Wenn man etwas in die Tiefe geht, zeigt sich, dass beispielsweise die Klein- und mittelgrossen Unternehmen deutlich korrigiert haben und die Bewertung des Marktes stattlich ist. Ich gehe davon aus, dass der Markt weiter steigen wird, jedoch wird die Volatilität zunehmen. Nach fünfeinhalb Jahren der Hausse werde ich vorsichtiger.

Wie stark sind die Märkte überbewertet?

Die meisten Aktienmärkte sind gemessen an unseren Modellen etwa zehn Prozent überbewertet. Das ist allerdings noch nicht extrem, in der Vergangenheit gab es Über- und Unterbewertungen von 40 Prozent und mehr. Aber es ist alles angerichtet für die Bildung einer Blase. Als Argumente dafür dienen die tiefen Zinsen und die nicht vorhandenen Alternativen zu den Aktienmärkten. Es kann also sein, dass wir in eine Übertreibung laufen. Ich mahne daher zur Vorsicht.

Wie sieht das Bild in Europa aus?

Aktuell ist Europa einer der günstigen Märkte. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis ist nicht sehr hoch, allerdings sind die Gewinnschätzungen überaus optimistisch. Ich zweifle daran, dass Europa die Gewinne derart rasch steigern kann. Durch den schwachen Euro werden sie aber dennoch steigen, daher sehe ich noch etwas Potenzial nach oben, zumal wir in der Eurozone nun endlich doch eine zaghafte Zunahme der Ausleihungen der Banken an die Wirtschaft sehen, wozu auch die geldpolitischen Massnahmen der EZB beigetragen haben.

Worauf sollten jene, die noch auf den Zug aufspringen möchten, ihren Fokus richten?

Das ist schwierig. Spät aufspringen ist immer eine gefährliche Sache, da gelten verschiedene Regeln. Die wichtigste ist Diversifikation, also das Halten eines breit aufgestellten Aktienportfolios. Wir würden die USA wegen der stabilen Gewinnsituation übergewichten und – wegen der günstigen Bewertungen – Europa. Aber auch in den Schwellenländern bieten sich Chancen, da sie gemessen am Kurs–Gewinn-Verhältnis ebenfalls noch günstig -bewertet sind.

Auch an den Obligationenmärkten muss man heutzutage klar differenzieren. Wo macht ein Engagement noch Sinn?

Das ist richtig. Für den privaten Anleger bleibt bei sicheren Investitionen nach Spesen und Steuern praktisch nichts mehr übrig. Leider sind die Renditen auch bei risikoreicheren Papieren wie Hochzinsanleihen stark gesunken, die Risiken werden nicht mehr adäquat entschädigt. Deshalb ist bei Obligationen generell Vorsicht geboten. Potenzial sehen wir allenfalls noch bei Schwellenländeranleihen in Lokal- und in Hartwährungen.

An den Obligationenmärkten mehren sich die Anzeichen für einen Umbruch. Welche Schlüsse können draus gezogen werden?

Der viel zitierte Umschwung bei den Zinsen, also die grosse Zinswende, ist bislang ausgeblieben. Im Gegenteil: Wir sehen aktuell sogar neue Höchstkurse bei den Obligationen beziehungsweise Tiefstkurse bei den Renditen. Die amerikanische Zentralbank hat den Plan, die Liquiditätszufuhr Ende Oktober stoppen. Das wird jedoch wenig bewirken, da der  Wegfall durch weitere Liquiditätsspritzen der Europäischen Zentralbank und der Bank of Japan ausgeglichen wird. Wir werden uns darum noch länger in diesem Tiefzinsumfeld bewegen.

Das komplette Interview ist als Video auch hier verfügbar (Wirtschaftsmagazin PUNKT).


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