«Ich sehe immense Herausforderungen»

In 16 Jahren an der Wallstreet hat Sandra Navidi die Grossen und Mächtigen der Finanzwelt kennengelernt. Im Gespräch bringt die Buchautorin ihre Sorgen über die Entwicklungen im weltweiten Finanzsystem zum Ausdruck. Um das Schlimmste zu verhindern, sei die Finanzelite gefordert.

Text: Christian Euler

Inhaltsbild-Interview-Navidi-02-201710×10  Frau Navidi, wie ist die Stimmung in den USA, seit Donald Trump Präsident ist?

Sandra Navidi  Einerseits macht sich Lust an der Umwälzung und Optimismus breit, aber vor allem auch Ungläubigkeit und Schock. Es haben ja nur 46 Prozent der Amerikaner Trump gewählt, und in Umfragen hat er historisch niedrige Umfragewerte im Vergleich zu vergangenen Präsidenten im gleichen Zeitraum.

Weltweit haben die Börsen seit seiner Wahl im November teils deutlich zugelegt. Sind die Vorschusslorbeeren gerechtfertigt?

Der Anstieg der Kurse ist stark getrieben von Psychologie. Das bereits bestehende positive Aufwärtsmomentum, das Trump von seinem Vorgänger geerbt hat, verstärkt er jetzt noch mit angekündigten Steuersenkungen, Deregulierung und Konjunkturspritzen. Hiervon betroffene Branchen, wie zum Beispiel die Baubranche, profitieren.

Trump ist also gut für die Börse?

Man darf aber nicht vergessen, dass seit der Wahl mehr als ein Fünftel der Gesamtgewinne im Dow Jones alleine auf Goldman Sachs entfallen sind. Das liegt nicht nur ander geplanten Deregulierung der Finanzbranche, sondern auch an der Tatsache, dass bis zu sechs Goldman-Sachs-Alumni in die Regierung gewechselt sind. Ausserdem betreibt Trump, was Nobelpreisträger Robert Shiller treffend mit dem Begriff «Narrativ-Ökonomie» bezeichnet. Er liefert sinnstiftende Geschichten, mit denen er die Massen durch die Medien manipuliert.

Wie beurteilen Sie die Stabilität unseres Finanzsystems?

Systeme sind umso anpassungsfähiger und widerstandsfähiger, je vielfältiger sie sind. Trump hat das reichste und homogenste Kabinett von Milliardären um sich geschart, das es je gab. Somit steht ihm und seinen Kabinetts-Klonen in dieser Echokammer des gleichgeschalteten Denkens mangels geschlechtlicher, ethnischer oder soziokultureller Diversität kein Gegengewicht gegenüber, das auf einen Interessenausgleich hinwirken könnte.

Sehen Sie weitere Gefahren für das Finanzsystem?

Risiken gibt es viele, zum Teil überlagern sie sich und verstärken sich gegenseitig. Ungewiss zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist, was der Auslöser für die nächste Krise sein wird. Bedenklich sind der weltweit rekordhohe Schuldenstand, das fragile europäische Bankensystem, die Verschuldung Chinas, das global stagnierende Wachstum. Das alles vor dem Hintergrund der Reformmüdigkeit und des global zunehmenden Populismus. Problematisch wäre im Falle einer Krise, dass wir vermutlich bereits unsere Munition – insbesondere in Form von Zentralbankpolitik – verschossen hätten.

Sie sagten einst, dass wir uns an sinkenden Wohlstand gewöhnen müssen. Hat sich Ihre Meinung zwischenzeitlich geändert?

Nein, im Gegenteil. Ich sehe immense Herausforderungen auf uns zukommen. Unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft basieren auf Wachstum als Motor für Arbeitsplätze, Wohlstand und sozialer Stabilität. Seit der Krise ist das Wachstum allerdings sehr langsam und schwach verlaufen. Die fehlende Nachfrage, der riesige globale Schuldenüberhang, und der Mangel an Reformen beschränken das Wachstum, was wiederum die Ungleichheit vergrössert.

Erschwerend wirkt der rasant um sich greifende technische Fortschritt, der nicht nur ungelernte Arbeitskräfte überflüssig macht, sondern immer mehr Arbeitsplätze der Mittelschicht kostet – zum Beispiel von Rechtsanwälten, Steuerberatern und sogar Ärzten. Das könnte zu so erheblichen gesellschaftlichen Verwerfungen führen, dass der Gesellschaftsvertrag zur Wahrung des sozialen Friedens neu verhandelt werden muss. Denkansätze wie das bedingungslose Grundeinkommen und die Besteuerung von Robotern gehen in diese Richtung.

Das alles klingt wenig ermutigend. Gibt es auch Grund zur Hoffnung?

Der Mensch ist mit einer optimistischen Grundeinstellung ausgestattet, die es uns erlaubt, uns auch angesichts extremer Herausforderungen zu behaupten. Die menschliche Genialität und unsere Fä- higkeit in Netzwerken zu kooperieren, hat uns zur dominierenden Spezies auf diesem Planeten gemacht, was einige Forscher bewegt hat, unser jetziges Jahrtausend als das Anthropozän zu bezeichnen, das Jahrtausend des Menschen. Global gesehen war der Wohlstand noch nie höher – und in vielen Weltregionen besteht noch Raum für Wachstum.

In den USA scheint die Zinswende beschlossen. Wann wird die Europäische Zentralbank folgen? Müsste sie nicht alleine wegen der anziehenden Inflation die Zügel straffen?

Ich glaube, dass die EZB – ähnlich wie auch die Federal Reserve – sehr lange überaus vorsichtig agieren wird. Zudem ist sie der Finanzstabilität verpflichtet, und Europa hinkt noch etwas hinter den USA her. Die EZB wird den Inflationsverlauf vermutlich noch etwas länger beobachten wollen, bevor sie den Schalter umgelegt. Aktien und Anleihen sind teuer, Sparbücher werfen nichts ab.

Was raten Sie verunsicherten Anlegern, die nicht nur ihr Vermögen erhalten, sondern Erträge erzielen wollen?

Selbst manche der erfolgreichsten Makro-Hedgefonds haben in den vergangenen vier Jahren zum Teil drastisch daneben gelegen. Ganz allgemein kann man sagen, dass angesichts der praktisch kaum noch berechenbaren weltweiten Risiken Diversifikation ratsam scheint.

Sind Gold oder Immobilien eine Beimischung wert?

Ja, allerdings nur begrenzt, denn beide Anlageklassen sind nicht unfehlbar. Gold hat als Edelmetall nur ganz geringe praktische Verwendungszwecke, zudem ist seine Preisentwicklung äusserst unberechenbar. Jedoch ist gegen eine Beimischung als «Versicherung» grundsätzlich nichts einzuwenden. Aufgeschlossener bin ich gegenüber Immobilien, wobei es hier sehr stark auf den jeweiligen Einzelfall ankommt.

Sandra Navidi ist Juristin sowie Gründerin und CEO von BeyondGlobal LLC. Zudem ist sie eine erfolgreiche Buchautorin (Super-hubs: Wie die Finanzelite und ihre Netzwerke die Welt regieren).


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  1. Tschortscho Eibl

    Der Neoliberalismus ist nicht die Lösung der globalen Probleme. Tatsächlich basiert das kapitalistische System auf Zins und Zinseszins. Der Glaube an ein unendliches Wachstum ist schizophren. Wenn die Märkte gesättigt sind, findet kein Wachstum mehr statt, es herrscht ein Verdrängungswettbewerb. Die Kerntechnologien der westlichen Welt basieren auf Erfindungen des 19. Jahrhunderts, tatsächlich hat es außer dem Smartphone keine nennenswerten Milestones mehr gegeben. Die Menschen in den Hamsterrädern werden nun von Robotern und noch mehr Automatisation verdrängt, die Konsequenzen liegen auf der Hand. Jobverlust, Altersarmut ! Ein Großteil kann sich weder Gold noch Immobilien leisten, zusätzlich führt die gnadenlose Ausbeutung dieses Planeten zu erheblichen Klimaveränderungen, die nicht weg zu diskutieren sind. Dieser einzigartige blaue Planet bewegt sich schon millionen Jahre im Universum, was er definitiv nicht braucht den Mensch mit seinen dubiosen Erfindungen. Es ist vermessen anzunehmen der Mensch stünde an der Spitze der Evolution, im Gegenteil, er ist die einzige Spezies die es fertig bringt seinen eigenen Lebensraum für Papierfetzen zu vernichten ! Was ist daran intelligent ?

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