«Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Bargeld verschwindet»

Alekander Berentsen, Professor für Wirtschaftstheorie an der Universität Basel, im Gespräch über Geld und Kryptowährungen, wie Bitcoin. Er glaubt, dass Kryptowährungen und Banken langfristig koexistieren werden.

Text: Pascal Hügli

Herr Berentsen, Sie sind Wirtschaftsprofessor und Geldtheoretiker. Worin bestehen die Aufgaben eines Geldtheoretikers?

Als Geldtheoretiker untersuche ich die Rolle von Geld in einer Volkswirtschaft. Dazu muss ein Geldtheoretiker zuallererst definieren, was Geld ist. Das scheint auf den ersten Blick einfach zu sein. Wenn man aber genauer hinschaut, sieht man, dass es viele Objekte gibt, welche die klassischen Funktionen von Geld zumindest teilweise übernehmen. Die klassischen Funktionen von Geld sind: Tauschmittel, Aufbewahrungsmittel und Wertmassstab.

Wie ist Geld entstanden?

Geld als Tauschmittel gibt es schon seit Urzeiten. In unterschiedlichen Regionen und Zeitepochen wurden verschiedenste Güter als Geldeinheiten verwendet. Viele dieser frühen Vertreter haben gemein, dass sie entweder als Grundnahrungsmittel oder als (zeremonielle) Schmuckstücke dienten. Steine, Nutztiere, Walfischzähne, Muscheln, Federn und zahlreiche andere Gegenstände.

Geld muss also nicht zwingend durch eine staatliche Instanz (Zentralbank) ausgegeben werden?

Nein. Zentralbanken sind ein neuzeitliches Phänomen. Geld ist bedeutend älter.

Muss Geld staatlich anerkannt sein, damit es Geld ist?

Ebenfalls nein. Auch heute noch ist der grösste Teil des Geldes nicht staatlich anerkannt, sondern wird durch private Institutionen herausgegeben. Wenn ein Bürger eine elektronische Zahlung macht, bezahlt er mit einem impliziten Schuldtitel, den eine private Bank herausgegeben hat.

Elektronisches Geld ist in der Schweiz also nicht gesetzlich anerkannt?

Geschäftsbanken können Buchgeld selber schaffen. Dabei handelt es sich nicht um ein gesetzliches Zahlungsmittel, sondern nur um ein Versprechen, das gesetzliche Zahlungsmittel auf Verlangen auszuzahlen. Buchgeld ist ein wichtiges Zahlungsmittel in der Schweiz, da Zahlungen heutzutage mehrheitlich elektronisch mittels Überweisung von Buchgeld ausgeführt werden.

Und das gesetzliche Zahlungsmittel ist?

In der Schweiz bilden Münzen, Banknoten und Sichtguthaben bei der Nationalbank (Reserven) die gesetzlichen Zahlungsmittel. Nur die Schweizerische Nationalbank (SNB) ist berechtigt, Banknoten und Reserven zu schaffen. Münzen werden durch den Bund herausgegeben.

Warum glauben Sie, halten Menschen es heute für selbstverständlich, dass eine staatliche Instanz Geld emittiert?

Weil das Geld den gleichen Namen trägt: Das Geld, welches auf einem Bankkonto liegt, müsste korrekterweise nicht Schweizer Franken heissen sondern «Name der Bank» Franken.

Sind Kryptowährungen Geld?

Kryptowährungen sind Geld, da sie grundsätzlich als Zahlungsmittel und Wertaufbewahrungsmittel verwendet werden können. Zurzeit sind aber die Anzahl Transaktionen von Bitcoin gegen Güter noch klein. Es gibt verschiedene Gründe dafür. Die Transaktionskosten sind zurzeit zu hoch. Zudem sind aufgrund der bisherigen spektakulären Wertsteigerungen die Eigentümer nicht bereit, Bitcoin als Zahlungsmittel einzusetzen. Sie horten Bitcoin in der Hoffnung, dass der Preis noch weiter steigt. Zuletzt ist der Umgang mit Bitcoin immer noch zu kompliziert. Diese Kinderkrankheiten werden sich früher oder später auskurieren und die Adoption von Bitcoin und anderen Kryptoassets als Zahlungsmittel wird zunehmen.

Haben Kryptowährungen eine Chance, staatlich anerkanntes Geld zu konkurrieren?

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Bargeld verschwindet. Die natürliche Alternative sind Kryptowährungen. Solche Währungen können allerdings auch durch Zentralbanken herausgegeben werden. In diesem Fall sind es dann zentralisierte, vom Staat emittierte Kryptowährungen. Von der Philosophie her ist das eine radikale Abkehr von der Grundidee der Bitcoin-Entwickler. Diese wollten eine dezentrale Währung, die durch keine einzelne Entität kontrolliert wird.

Sie glauben also, dass dezentralisierte Kryptowährungen langfristig keine Chance haben werden?

Doch. Elektronisches Zentralbankengeld und Kryptowährungen werden koexistieren, da sie unterschiedliche Bedürfnisse abdecken. Bei einer Zentralbank kennt man die Verantwortlichen. In der Schweiz ist dies eine positive Sache, in Venezuela und Simbabwe weniger. Bei einer Kryptowährung müssen sie nur der Technologie vertrauen.

Was bieten Kryptowährungen, das konventionelles Geld nicht bieten kann?

Aus der Sicht eines Sparers bieten Kryptowährungen zurzeit vor allem Autonomie. Man ist selber für die Sicherheit des Sparguthabens verantwortlich. Bringt der Sparer sein Geld auf die Bank, tritt er Verantwortung ab. Die Bank erledigt alle Arbeit wie die Sicherung der Guthaben im Hintergrund. Ich glaube, dass Kryptowährungen und Banken langfristig koexistieren werden.

Wann erreichen wir diesen Punkt, an dem Banken und Kryptowährungen offiziell koexistieren?

Es ist im Moment unmöglich abzusehen, in welche Richtung die Reise geht und wann sie «zu Ende» sein wird. Es sind derart viele Anwendungsgebiete in Entwicklung. Wir erleben zurzeit in Echtzeit einen der spektakulärsten Wettbewerbe von Technologie und Geld aller Zeiten.

*Alekander Berentsen ist Professor für Wirtschaftstheorie an der Universität Basel.


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  1. Philip Weissensteiner

    In Bezug auf elektronisches Geld und Buchgeld würde der öffentlichen Diskussion etwas mehr Schärfe bei den Begriffsdefinitionen guttun. Bei Buchgeld handelt es sich, wie richtig beschrieben, um eine Forderung auf Herausgabe von Zentralbankgeld. Das Settlement von elektronischen Zahlungen (Kartenzahlungen, Überweisungen) erfolgt aber ebenfalls in Zentralbankgeld, da Banken untereinander nur mit gesetzlichem Zahlungsmittel schuldbefreiend zahlen können! Eine Überweisung ist praktisch eine Anweisung an meine Bank, Zentralbankgeld von ihrem Zentralbankkonto abzubuchen und auf dem Zentralbankkonto der Empfängerbank gutzuschreiben, wobei die Empfängerbank gleichzeitig dem Überweisungsempfänger eine Sichtforderung auf diese Summe Zentralbankgeld gutschreibt. Darauf ist wichtig hinzuweisen, da gerade in der aktuellen Geld- und Kryptowährungsdiskussion immer wieder der Eindruck vermittelt wird, elektronischer Zahlungsverkehr in Franken oder Euro wäre ein von der Zentralbank losgelöstes Umherbuchen von durch Banken „erzeugtem“ bzw. „privatem“ Geld.

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