Passives Investieren: Faule ‚Eier‘ inklusive?

Fördert passives Investieren die Fehlallokation von Kapital und verzerrt so die Wirtschaft? Vielleicht. Die wesentlichen Verzerrungen sind jedoch geldpolitischer Art.

Text: Pascal Hügli

Obschon bereits zigfach diskutiert, flammt die Debatte, ob aktives und passives Investieren besser sei, immer wieder auf. Fruchtbar ist sie selten. Oft erweckt die passive Seite den Anschein, als würde sie die Abnahme von aktiv verwaltetem Vermögen mit Schadenfreude bejubeln, während die aktive Welt aus purem Trotz gegen passive Investoren schiesst. Kein guter Nährboden für eine konstruktive Auseinandersetzung.

Ein Beitrag, über den sich konstruktiv diskutieren lässt, lieferte das Researchhaus Bernstein im August letzten Jahres. Mit «Der Weg in die Leibeigenschaft: Warum passives Investment schlimmer als der Marxismus ist» wählten die Bernstein-Experten zwar einen etwas reisserischen Titel – das Forschungspapier indes hat wissenschaftlichen Charakter und ist daher ernst zu nehmen.

Warum die Zunahme von passiven Anlageinstrumenten problematisch sei, erklären die Studienmacher wie folgt: Aktive Manager würden explizit nach unterbewerteten Unternehmenstiteln suchen. Beim passiven Investment hingegen würde das Geld automatisch in einen Börsenindex investiert. Wie die Experten herausstreichen, sei die effiziente Allokation von Kapital über einen aktiv betriebenen Preismechanismus aber von unverzichtbarem Wert für die Finanzmärkte.

Passives Investieren vermöge diese effiziente Kapitalallokation nicht zu leisten. Bei passiven Produkten würden oft strikt nach Gewichtung im Index in die Titel investiert. Marktsignale wie Erfolg oder Misserfolg und andere Indikatoren wie Verschuldungsgrad oder Kreditwürdigkeit fänden keine Beachtung. Zudem sei passives Investieren rückwärtsgewandt und generiere keine neuen Informationen, sondern basiere Investmententscheide auf Informationen, die bereits durch andere Finanzakteure in die Preisbildung eingeflossen sind.

Fehlallokation durch passives Investieren?

Die Fachmänner von Bernstein warnen deshalb: Mit dem stetigen Wachstum passiver Anlageprodukte würde die effiziente Allokation von Kapital und somit der Preisfindungsmechanismus immer stärker in den Hintergrund treten. Hohe Ineffizienz und vermehrte Fehlallokationen seien die Folge. Das Argument von Bernstein hat ziemlich grosse Wellen geschlagen und viele dazu veranlasst, Kontra zu geben.

So meint Jim Rowley, Head of Active/Passive Portfolio Research bei Vanguard, die Rolle des aktiven Managements sei primär das Festlegen der Wertschriftenpreise, nicht die Kapitalallokation. Auch aktive Manager tauschten grundsätzlich bloss Wertpapiere – und mit jedem Besitzerwechsel entstehe eine neue Preisinformation. Mit Kapitalallokation habe das allerdings wenig zu tun, meint Rowley.

Neues Kapital komme vor allem durch einen Börsengang oder Verschuldung zustande, argumentiert er. Ein anderer Einwand: Passive Produkte seien gar nicht immer so passiv. Ein gutes Beispiel sind die Smart-Beta-ETF, deren Faktor-Investing-Ansatz als Mittelding zwischen aktivem und passivem Investment angesehen wird. Der Anlagestratege Rowley verdeutlicht: «Bei der Allokation berücksichtigen Investoren eine Bandbreite verschiedener geografischer Gebiete, Sektoren und Arten der Marktkapitalisierung. Mit dem Ergebnis, dass Investoren nicht zwingend den Markt abbilden.»

Wenn aktiv nicht länger aktiv ist

Restlos lassen Kritiker diesen Einwand aber nicht gelten. Er versuche bloss, das Grundproblem durch das Hinzufügen einer aktiven Handlung zu kaschieren. Ein solcher Investor träfe zwar die aktive Entscheidung, mittels passivem Produkt jenes Marktsegment anstelle eines anderen zu kaufen. Dieser aktive Kaufentscheid auf Stufe Marktsegment ändere aber nichts daran, dass auf Ebene Aktien die Wertschriftentitel noch immer passiv gekauft würden.

Passives Investieren

Dass passives Investieren nicht gleich passives Investieren sein muss, ist das Eine. Das Andere: Auch viele aktive Manager seien heutzutage kaum noch waschechte aktive Investoren. Wenn die Experten von Bernstein tatsächlich recht hätten, müsste ihre These der Kapitalfehlallokation genauso auf die zahlreichen «Closet Trackers» von heute zutreffen. Jene Investoren, die ihre Strategie zwar als aktiv verkaufen, in Tat und Wahrheit aber bloss einer Benchmark folgen.

An der Fehlallokation von Kapital seien also auch die vielen aktiven Investoren schuld, die kaum noch nach unterbewerteten Aktien suchen, selten gegen die gewählte Benchmark investieren und daher keine wertvollen Informationen schaffen würden. Viele, die den Aufstieg des passiven Investierens grundsätzlich befürworten, sehen die von Bernstein beschriebene Gefahr gelassen. So wendet Jim Rowley ein: «Wenn Preise tatsächlich weniger effizient würden, hätten die guten aktiven Investoren vermehrt den Anreiz, diese Ineffizienzen auszunutzen, worauf sich die Wertschriftenpreise wieder ihrem Marktpreis annähern würden.»

Investieren in Zeiten des verzerrten Marktes

Es fragt sich allerdings, ob diese Vorstellung des «spielenden Marktes» nicht bloss in der Theorie gilt. Zunehmende Regulierung für mehr Transparenz im Anlagegeschäft – wie kürzlich in Grossbritannien angekündigt – wird die Compliance-Kosten vor allem auch für aktive Investoren erhöhen. Gleichzeitig wird ihnen der Druck für niedrigere Gebühren weiter zu schaffen machen.

Wenn auch gut gemeint, so ist es möglich, dass solche Massnahmen dem aktiven Management zu grosse künstliche Wettbewerbsnachteile aufbürden. So setzt das Argument von Bernstein nämlich voraus: Wenn passive Investoren Kapital nicht effizient allozieren können, so müssen die aktiven Manager dazu besser in der Lage sein. Doch nicht bloss striktere Regulierung verzerrt deren Markthandlungen.

Noch viel stärker sind es die geldpolitischen Interventionen und die daraus resultierenden Verzerrungen, die das Einschätzen der Märkte erschweren. Da hilft es auch wenig, wenn Zentralbanken ihre Schritte stets öffentlich ankündigen. Denn diese «neuen» verzerrten Märkte arbeiten unter Prämissen, die sich stark vom Gewohnten unterscheiden und bislang auch von aktiven Investoren noch kaum verstanden werden.

Es mag Zufall sein und doch fällt auf, dass der bis heute anhaltende Abstieg des aktiven Investierens mit dem Beginn der grossen Zentralbankinterventionsspirale Ende 2007 eingesetzt hat. Wie ist also das Argument des Researchhauses abschliessend zu beurteilen? Ganz von der Hand zu weisen ist es nicht. Rein ökonomisch gesehen leuchtet es ein, dass passive Investoren für die Fehlallokation von Kapital anfälliger sind. Eben weil sie weniger nach dem Fair Value suchen, sondern schlicht in jene Sektoren investieren, die in der jüngsten Vergangenheit entweder über- oder unterperformt haben.

Das heisst: In der Theorie mögen aktive Anleger im Vergleich zu passiven Investoren für eine effizientere Kapitalallokation sorgen. In der Realität muss das aufgrund der geldpolitisch verzerrten Verhältnisse nicht zwingend der Fall sein. Auch sind durch die massiven Zentralbankeingriffe ohnehin neue Dynamiken im Gang, deren Auswirkung auf die Märkte wir nicht kennen. Es irritiert zudem, dass die Strategen von Bernstein mit ihrem Forschungspapier politische Entscheidungsträger auf das von ihnen beschriebene Problem aufmerksam machen wollen. Denn auch in diesem Fall wäre davon auszugehen: Mehr Regulierung zum Schutz der aktiven Investmentbranche würde wenig helfen und bloss eine neue Interventionsspirale lostreten.

Bis der Krug bricht

Sowieso ist der Trend zu immer mehr passiven Anlageprodukten und -strategien nicht aufzuhalten. Gemäss einer Umfrage von Morgan Stanley vom vergangenen Jahr achten Kunden bei einem Anlageprodukt mittlerweile stärker auf die Kosten als auf dessen Performance. Natürlich profitieren davon vor allem die kostengünstigen passiven Instrumente. Gleichzeitig macht es Sinn, in ganze Märkte zu investieren, die von Allzeithoch zu Allzeithoch gehen.

Gegenwärtig braucht man den Markt gar nicht zu schlagen, da die meisten Anlageklassen nur eine Richtung kennen: nach oben. Diese «Alles-Hausse» will sich natürlich Bernstein nicht entgehen lassen – und hat daher nun selber zwei neue ETF lanciert. Letztlich sollte es ohnehin weniger darum gehen, passives und aktives Investieren gegeneinander auszuspielen. Die grossen Marktverzerrungen unserer Zeit könnten am Ende beide gleichermassen erschüttern.


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