Kolumne
Erwin Heri  Professor Finanztheorie, Uni Basel

«Voodoo»-Deflation

Was ist dran an dem ewigen Deflationsgerede? Erwin Heri beleuchtet die Argumentationen im Detail.

Das Deflations-Gerede wird von vielen Ökonomen eher belächelt als ernst genommen. Vielleicht ist das falsch. Nicht weil die Sache per se relevant wäre, sondern weil daraus eine fatale Eigendynamik entstehen könnte. Natürlich hat die Argumentationskette von sinkenden Preisen, die die Erwartung weiter sinkender Preise provoziert und so die Konsumenten vom Kauf abhält, weil sie meinen, die Güter später billiger zu bekommen, eine inhärente Logik. Und natürlich könnte solches Verhalten die Produktion abwürgen und zu einer Depression führen. Das Gefährliche ist aber, dass der Denkansatz so simpel und intuitiv einleuchtend erscheint. Sieht man sich historische Deflationsphasen an, finden die Überlegungen empirisch aber keine Bestätigung.

Deflationen sind vor allem ein Phänomen aus der Zeit vor der Einführung von Papiergeld. Sie sind üblicherweise dadurch entstanden, dass das zusätzliche Edelmetallangebot nicht mit dem Produktivitätsfortschritt der Volkwirtschaft mithalten konnte. In Zeiten mit edelmetallgedeckten Währungen waren inflationäre Phasen eher die Ausnahme und deflationäre Phasen eher die Regel. Seit dem Übergang zu Papiergeld gilt das Gegenteil.

Die grosse Ausnahme war die Deflation der frühen 30er Jahre, die in einer Depression mündete. Diese Phase wird praktisch als einziges historisches Zeugnis herangezogen, um die gegenwärtige Deflationspsychose zu rechtfertigen. Alle anderen Phasen werden ausgeblendet.

Nun gibt es wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema. Der letzte Jahresbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) thematisiert Deflationsphasen um zum Schluss zu kommen, dass die sinkenden Preise auf die Globalisierung der Gütermärkte zurückzuführen und als «gute Deflation» zu bezeichnen seien. Daher sei auch kein inhärentes Risiko einer Deflationsspirale zu befürchten. Das zur Makro-Sicht.

Es gibt aber noch eine Mikro-Sicht. Hier wird beispielsweise untersucht, ob bei einzelnen Güterpreisen Preissenkungen zu zurückhaltendem Konsumgebaren führen. Eine Analyse des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel zeigt, dass dies eindeutig nicht der Fall ist und dass « …die verbreitete Furcht vor negativen Auswirkungen einer Deflation auf den gesamtwirtschaftlichen Konsum auf einem schwachen mikroökonomischen Fundament steht».

Die Deflationsargumentation dürfte bestenfalls dann wirklich relevant werden, wenn wir mit massivsten Preissenkungen rechnen müssten. Auch der Rückgriff auf Japan im letzten Jahrzehnt wäre ein gewaltiger Missgriff, denn gemäss BIZ sind die Preise zwar über die Zeitspanne gefallen, aber nur um kumulierte 4 Prozent. Das ist weit von einer «gefährliche Deflation» entfernt.

Dennoch macht mich das Deflationsgerede etwas nervös. Nicht weil es per se relevant wäre, sondern weil solche Ideen heute eine gewisse Eigendynamik entwickeln können. Wenn man einmal alle dazu gebracht hat, an die Deflation zu glauben, dann wird sie irgendwann selbsterfüllend. Soviel sollte man von der behavioralistischen Schule inzwischen gelernt haben. Es wäre daher zu begrüssen, sich, bevor man von offizieller Seite solche Hypothesen verbreitet, über deren Mikrofundierung und deren empirischen Relevanz Gedanken macht.


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