Kolumne
Erwin Heri  Professor Finanztheorie, Universität Basel

Vorsicht ist die Mutter der Inflationskiste

Die schleichende Inflation beschneidet die Anlagerenditen der festverzinslicher Vemögenswerte.

All die alten Monetaristen, die noch immer davon ausgehen, es gäbe so etwas wie die Quantitätsgleichung des Geldes, nach der eine übermässige Geldversorgung der realen Wirtschaft über kurz oder lang zu Inflation führen sollte, werden Lügen gestraft. Die jüngsten Erfahrungen haben, zusammen mit dem Globalisierungsargument – seit Jahrzehnten vermochte man Arbeitskräfte zu vorher nie gesehenen Gehaltsstrukturen irgendwo hinter dem Ural zu mobilisieren – die Inflationsrisiken quasi strukturell besiegt. Nun kommt dazu, dass der Goldpreis wieder auf Talfahrt ist – dies wird nicht selten mit dem Fehlen jeglicher Inflationsbefürchtungen gleichgesetzt.

Mit der Finanzkrise, den gestiegenen Unsicherheiten, der gesunkenen Risikoneigung der Marktteilnehmer, den angehobenen Kapitalanforderungen an das Bankensystem et cetera ist offensichtlich geworden, dass das explodierende Geldangebot der Zentralbanken nicht ein Inflationspotenzial geschaffen hat, sondern nur der Befriedigung einer ebenso dramatisch gestiegenen Liquiditätsnachfrage diente. Die Welt ist halt eine andere geworden. – Ist sie das wirklich? Ich habe überhaupt kein Problem mit der Aussage, dass jede Generation das Recht hat, die gleichen Fehler wie ihre Väter zu machen. Ich schreibe dies vor allem für die Väter. Sollten nämlich unsere Jungen noch einmal den gleichen Fehler machen wie wir in den Inflationsjahren vor 1980, dann sollten zumindest nicht wir wieder die Leidtragenden sein. Die Inflation hat unterschiedliche Gesichter.

Eine der fieseren Formen ist schleichend, drei bis fünf Prozent per annum. Kaum merklich. Politisch kein Thema. Das Problem der schleichenden Inflation ist aber der Zinseszinseffekt. Eine Inflation von 4 Prozent pro Jahr reduziert den Wert eines realen Renteneinkommens oder eines realen Vermögens in 18 Jahren um 50 Prozent. Das ist die «Inflationsversion» der sogenannten 72er-Regel, die sich aus der Zinseszinsfunktion ableiten lässt: 72 geteilt durch die durchschnittliche Inflationsrate ergibt die Anzahl Jahre bis zur (realen) Halbierung eines nominellen Einkommens beziehungsweise eines Geld- oder Vermögensbestandes.

Das ist für die Jungen kein Problem. Wer aber heute 60 ist, marschiert in 18 Jahren stramm auf die 80 zu. Vielleicht hat der gute Rentner jemanden, der ihm seine Rente jeweils an die Inflation anpasst. Wenn aber der heutige Lebensplan vorsieht, einen Teil oder den kompletten Lebensunterhalt vom eigenen Vermögen zu bestreiten, ist es angebracht, früh genug dasselbige vermehrt in Anlagen zu investieren, die von der schleichenden Inflation – von allen anderen Formen von Inflation ganz zu schweigen – weniger angegriffen werden. Hier drängen sich reale Aktiva wie Immobilien und Aktien auf. Andere Anlagen haben es schwerer.

Festverzinsliche Papiere verursachen durch eine sich beschleunigende Teuerung doppelt Schmerzen. Einerseits wird die Rückzahlung bei Verfall real weniger Wert sein, und andererseits werden sich über die Laufzeit Kursverluste einstellen, die bei eventueller vorzeitiger Auflösung ärgerlich sind. Und auch Gold hat nach der kürzlich erfolgten Entmystifizierung einen Teil seines möglichen Inflationsabsicherungscharakters verloren. Geldanlage war und ist eine Langfristthematik. Dabei haben in den letzten 25 Jahren Inflationsüberlegungen eine untergeordnete Rolle gespielt.Es ist anzunehmen, dass dies in den kommenden 25 Jahren anders sein wird.


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