Währungswettbewerbe hat es immer gegeben

Aufgrund ihrer jahrelangen Interventionspolitik werden Zentralbanken heute gescholten. David Andolfatto von der US-Notenbank hält wenig von der Kritik. Auch im Bitcoin sieht er keine Reaktion auf die Finanzkrise, sondern den Versuch, digitales Bargeld zu kreieren.

Text: Pascal Hügli

Im September vergangenen Jahres kündigte die US-Notenbank an, ihre Bilanz kürzen zu wollen. Gemäss Protokoll soll die Fed Wertpapiere im Wert von 30 Milliarden Dollar pro Monat auslaufen lassen. Passiert das gerade?  Ja. Während die Bilanz der US-Notenbank am 14. Januar 2015 ihren Höhepunkt bei 4,516 Billionen Dollar erreichte, steht sie heute bei 4,258 Billionen Dollar. Insbesondere seit Anfang dieses Jahres zieht die Fed ihre angekündigte Kürzungspolitik straff durch.

Wie genau funktioniert die Bilanzverkürzung?  DIe Fed lässt alte Wertpapiere auslaufen – sie werden schlichtweg nicht erneuert, was einer Bilanzkürzung gleichkommt.

Die Massnahmen der Zentralbanken haben die Lage somit verscharft statt gelindert? Absolut. Es ist die Bankrotterklarung unseres Finanz- und Geldsystems und fuhrt alles ad absurdum. So fuhrt die Schweizer Nationalbank eigentlich den grossten Hedgefonds in der Schweiz, bis heute hat sie 500 Milliarden Euro aufgekauft. Wie das funktionieren soll, konnte mir bis heute niemand vernunftig erklaren. Das ist ein sehr gefahrlicher Weg und meiner Ansicht nach eine tickende Zeitbombe, die nicht mehr entscharft werden kann.

Wird die Fed die Kadenz gar noch erhöhen? Die Vorgehensweise der US-Notenbank ist zustandsorientiert. Das heisst: Der weitere Verlauf der Bilanzkürzungen hängt von der makroökonomischen Entwicklung in den USA ab.

Wird sie das «Quantitative Easing» wieder aufnehmen, wenn sich der makroökonomische Zustand plötzlich wieder verschlechtern sollte?  Ja, das ist durchaus denkbar.

Kritiker monieren, dass die derzeitigen Versuche, die Bilanz zu kürzen, den Namen «Quantitative Tightening» nicht verdient hätten. Wie man unsere Politik bezeichnen möchte, kümmert uns wenig. Fakt ist: Die Bilanz der US-Notenbank wird kleiner – das zeigen die Zahlen.

Werden die Märkte zu unruhig, wie beispielsweise anfangs Februar, interveniert die US-Notenbank aber gleich wieder. Die US-Notenbank hat nun einmal ein Mandat zur Förderung der Finanzstabilität und nutzt alle ihr zur Verfügung stehenden Instrumente, um diesem Mandat Folge zu leisten. Es geht schliesslich um die Umsetzung des politischen Willens.

Die Fed ist sich der delikaten Situation also bewusst. Wie wird sichergestellt, dass nicht vorschnell gehandelt wird und die Sache aus dem Ruder läuft? Ich würde nie behaupten, dass die US-Notenbank unfehlbar ist. Die Wahrscheinlichkeit von Fehlern halte ich aber deshalb für klein, weil die Fed durch engagierte und wohlüberlegte Entscheidungsträger geführt ist. Jede dieser verantwortlichen Personen hat ihre Kompetenzen und Erfahrung, die in diesen monetären Fragen zur Anwendung kommen.


«Die US-Notenbank hat die Zinsen als Reaktion auf die Finanzmärkte gesenkt, und nicht umgekehrt.»


Was ist die Hauptmotivation hinter der Bilanzkürzung? Der Politik war es stets ein Dorn im Auge, dass die US-Notenbank sogenannte hypothekenbesicherte Wertpapiere in ihrer Bilanz hat. Für viele kommt das einer Bevorzugung gewisser Wirtschaftsakteure gleich. Überhaupt scheint der Effekt des Quantitative-Easing-Programms auf die Realwirtschaft nur minimal gewesen zu sein. Das Programm zu beenden, ist daher der richtige Schritt. Innerhalb der US-Notenbank sehen viele darin auch einen Schritt des «Zurück zur Normalität».

Gewisse Finanzanalysten argumentierten, dass es der US-Notenbank auch darum ging, die Vermögenspreise anzuheben, um einen Vermögenseffekt zu kreieren, welcher der gesamten Wirtschaft zugutekommt.  Ich sehe nicht, wie die Umlagerung von niedrigverzinslichen US-Staatsanleihen auf niedrig verzinste Reserven viel bewirkt haben könnte. Es gab natürlich einen gewissen Effekt, dessen quantitative Auswirkungen auf die Realwirtschaft scheinen allerdings nicht sehr gross gewesen zu sein. Profitiert hat vor allem die Finanzverwaltung. Der Gewinn, den die Fed durch das «Quantitative Easing» erzielte, lag im Durchschnitt bei rund 80 Milliarden Dollar pro Jahr und wurde an das US-Finanzministerium übertragen.

Sie sind also der Ansicht, dass die wirtschaftlichen Vorteile der «Quantitative-Easing»-Politik deren Nachteile klar überwiegen? Ich sehe überhaupt keine wirtschaftlichen Nachteile. QE führte natürlich am Rande dazu, dass sich die Finanzierungskosten der Staatsschulden verringert haben. Jene, die der Fed-Politik der vergangenen Jahre negative Auswirkungen zuschreiben, haben diese schlichtweg nicht verstanden: In der Bilanz hat sich lediglich die Fälligkeitsstruktur von noch ausstehenden Staatsschulden verändert. Wenn, dann sollte man über die Fiskalpolitik und die Grösse der Staatsschulden besorgt sein statt über die Bilanz der US-Notenbank.

Die neunjährige Politik des «Quantitative Easing» scheint zumindest die adäquate Risikobepreisung auf den Märkten eliminiert zu haben. Werden Risiken nicht mehr korrekt eingepreist, könnte das verheerende Konsequenzen haben. Meiner Meinung nach ist die weltweite Nachfrage nach sicheren Anlagen enorm gestiegen und hat die Renditen gedrückt. Die US-Notenbank hat also auf Reaktion darauf ihren Leitzins in Übereinstimmung mit der Nachfrage nach diesen sicheren Vermögenswerten senken müssen. Wir haben also bloss auf bereits wirkende Marktkräfte reagiert.


«Die Digitalisierung hat und wird auch in Zukunft die Geschäfte der Zentralbanken effizienter und schneller machen.»


Selbst wenn man diese Auffassung teilt, kann immer noch argumentiert werden, dass der Leitzins zu stark gesenkt worden ist. Eine solche Argumentation lässt sich aber nur schwer mit der Tatsache in Einklang bringen, dass die Inflationsraten im Allgemeinen sehr niedrig waren.

Angenommen, die Zentralbanken sind nicht in der Lage, eine erneute Wirtschaftskrise abzuwenden. Was könnte in Ihren Augen ein potenzieller Auslöser sein? Ein Auslöser könnte eine Verlangsamung des weltweiten Produktivitätswachstums sein. Da sich das Einkommenswachstum verlangsamt, wird es schwieriger, Schulden zu bedienen. Die Schuldner werden zahlungsunfähig, Gläubiger kommen ins Strudeln und die Wirtschaft driftet in die Rezession.

Falls eine neue Krise eintritt, welche Mittel stehen Zentralbanken noch zur Verfügung? Zentralbanken können immer auf Anlagenkäufe zurückgreifen. Das Hauptinstrument müsste allerdings die Fiskalpolitik sein.

Was genau meinen Sie damit? Die Fed kontrolliert nur die Zusammensetzung der Staatsverschuldung, nicht deren Höhe. Es ist Aufgabe der Fiskalpolitik, in einer Rezession die Steuern zu senken beziehungsweise die Transferleistungen zu erhöhen.

Generell gilt die Zinsstrukturkurve als guter Krisenindikator. Seit neustem stellen einige Fed-Entscheidungsträger diese jedoch infrage. Warum? Deren Argument ist: Die Prognosefähigkeit der Zinskurve habe bei hohen Zinsen funktioniert. Nun seien die Zinsen niedrig – wir befänden uns in einer neuen Welt – und es gebe keinen Grund zu erwarten, dass die Prognosefähigkeit der Zinskurve in der derzeitigen Situation noch halten würde.

Gibt es denn Gründe anzunehmen, dass sie nicht mehr hält?  Was deren genaue Gründe sind, weiss ich nicht. Da müssten Sie mit den entsprechenden Personen reden.


«Auch Kryptowährungen können die Menschen nicht gänzlich vor despotischen Regimes schützen.»


Kommen wir zu Bitcoin. Zucken Sie bei diesem Wort zusammen oder müssen sie einfach nur schmunzeln? Weder noch. Als Akademiker interessiere ich mich schon lange für dieses Projekt.

 Kann Bitcoin auch als Reaktion auf die Finanzkrise von 2008 gesehen werden? Immerhin fühlten sich viele Menschen durch Zentral- und Geschäftsbanken hintergangen. Im Thesenpapier von Satoshi wird die Finanzkrise nicht erwähnt. Es ist einfach ein Versuch, ein digitales Geldsystem aufzubauen, das Bargeld imitiert, also die Möglichkeit von Peer-to-Peer-Zahlungen ohne die Hilfe eines Intermediäres.

Satoshi Nakamoto erwähnt die Finanzkrise nicht im Thesenpapier, dafür an anderer Stelle. In Bitcoin keine Reaktion auf die Finanzkrise zu sehen, ist doch fast unmöglich. Nein, ist es nicht. Das Thesenpapier wurde 2008 veröffentlicht. Da gehe ich davon aus, dass die Forschung zu diesem Thema schon lange vor Ausbruch der Finanzkrise begonnen hat.

Sind Bitcoin und andere Kryptowährungen eine Bedrohung für Zentralbanken? Oder handelt es sich dabei lediglich um einen Hype, der wieder verschwinden wird? Bei Bitcoin und Kryptowährungen geht es um mehr als nur einen Hype. Währungswettbewerb hat es früher immer geben, erst die Neuzeit hat das staatliche Geldmonopol gebracht. Die Tatsache, dass Währungen nun digital und im Internet verfügbar sind, schränkt die Möglichkeit der Zentralbanken und Regierungen ein, ihre Währung zu hyperinflationieren.

Also ist Bitcoin keine existenzielle Bedrohung? Für Regierungen wie jene in Venezuela ist Bitcoin heute bereits eine effektive Bedrohung, da die Menschen eine weitere Zufluchtsmöglichkeit haben, um sich vor staatlicher Repression zu schützen. Flüchten die Menschen in alternative Vermögenswerte, können Regierungen mittels Inflationierung ihrer Währung weniger aus ihren Bürgern pressen.

Sehen Sie als Zentralbanker irgendwelche Vorteile in Bitcoin und anderen Kryptowährungen? Bitcoin dürfte wahrscheinlich als Fluchtanlage und nicht als breit akzeptiertes Zahlungsmittel überleben. Andere Kryptowährungen werden zukünftig ebenfalls ihre Nischenmärkte finden, so wie es lokale Konventionalgelder – beispielsweise die Ithaca HOUR in New York oder das Wir-Geld in der Schweiz – tun.

Die Kryptowelt scheint eine Welt für sich zu sein. Was fehlt dieser Welt? Was können Krypto-Enthusiasten von der traditionellen Welt lernen? Was den Enthusiasten oft fehlt, ist die Kenntnis der Geldgeschichte und ein Verständnis für die politischen Kämpfe bei der Einigung über rechtliche Rahmenbedingungen und Verfassungen. Bitcoin zum Beispiel kann man sich als eine Verfassung vorstellen. Es gibt politische Auseinandersetzungen, um die Verfassung zu ändern. Und wenn keine Einigung zustande kommt, brechen die Gemeinschaften auseinander und gehen getrennte Wege. Zudem halten einige den Bitcoin für ein Allheilmittel. Doch auch Kryptowährungen können die Menschen nicht gänzlich vor despotischen Regimes schützen.

Drehen wir den Spiess um: Was kann die traditionelle Welt von der Krypto-Welt lernen? Alternative Wege, eine Datenbank zu -betreiben.

Woran denken Sie hier? Blockchains ermöglichen sogenannte DAOs, Decentralized Autonomous Organizations. Deren komparative Vorteile sind: ein höheres Mass an Anonymität, uneingeschränkter Zugang und Nutzung des Protokolls sowie autonome und garantierte Ausführung geschriebener Codes via Smart Contracts. Noch scheint nicht abschliessend klar zu sein, welchen Wert diese komparativen Vorteile für traditionelle Unternehmen haben werden. Die Zeit wird es zeigen.

Ist Bitcoin ein Vermögenswert? Wenn ja, welche Art von Vermögenswert?  Bitcoin kann als Wertaufbewahrungsmittel betrachtet werden. Ein Vermögenswert, der kein Einkommen generiert, aber die Aussicht auf Kapitalgewinne beinhaltet.

Schrecken institutionelle Anleger vor Bitcoin und Kryptowährungen zurück, weil sie diese nicht mit gängigen Bewertungsmodellen evaluieren können? Ja und nein. Zurzeit ist man noch übervorsichtig. Sollte Bitcoin eine längere Zeit überlebt und gute Renditen erzielt haben, werden auch institutionelle Anleger investieren, auch wenn sie Bitcoin nicht ganz verstehen. Gleiches gilt auch an anderer Stelle. Die meisten Menschen verstehen nicht, wie der Verbrennungsmotor funktioniert. Trotzdem steigen sie tagtäglich in ein Auto und nutzen es.

Sie haben es bereits angesprochen: Viele Krypto-Assets werfen kein passives Einkommen ab. Ist das nicht ein Problem? Für jene, die ein Einkommen brauchen, ja. Für andere, die nach Kapitalgewinnen Ausschau halten, nicht.

Wenn wir schon über Kryptowährungen reden: Ist Bitcoin in Ihren Augen Geld? Nein, Bitcoin repräsentiert für mich kein Geld. Gegenwärtig fehlen ihm schlichtweg die nötigen Eigenschaften der Tauschmittel- und der Recheneinheitsfunktion. Das muss nicht heissen, dass der Bitcoin diese in ferner Zukunft nicht einmal haben kann.

Könnte Bitcoin dereinst zur unabhängigen Reservewährung für den internationalen Handel werden, wie es das Gold im 19. Jahrhundert war? Wohl kaum.

Weshalb nicht?  Schon Gold hatte ein folgenschweres Problem: Da das Goldangebot physisch begrenzt ist, lässt sich über die Angebotsseite nur schwer auf unerwartete Nachfrageschwankungen reagieren. Das gleiche Problem – nur noch verstärkt – haftet dem Bitcoin an. Kurzfristige Preisstabilität ist bei der Kryptowährung daher kaum jemals möglich, weshalb Bitcoin ähnlich wie Gold im Geschäftsalltag keine Verwendung finden wird.

Werden Zentralbanken Bitcoin als zusätzlichen Sicherheitspuffer dereinst in ihren Bilanzen führen? Wird die Geldpolitik verantwortungsvoll geführt, besteht keine Notwendigkeit für einen solchen zusätzlichen Vermögenswert. Und eine unverantwortliche Zentralbank wird den Bitcoin nicht wollen.

Wie wird die Digitalisierung die Zentralbanken in Zukunft verändern?  Die Digitalisierung läuft nun schon über Jahrzehnte. Als ich vor vierzig Jahren als Kind nach Europa reiste, mussten meine Eltern Reiseschecks mitbringen und hoffen, dass sie Orte finden, wo sie diese einlösen können. Heute reise ich mit meiner Kreditkarte nach Europa. Wie haben sich all diese Entwicklungen auf das Zentralbankwesen ausgewirkt? Die Probleme, mit denen die Zentralbanken konfrontiert sind, scheinen mir die gleichen zu sein. Die Digitalisierung hat und wird auch künftig die Geschäfte der Zentralbanken effizienter und schneller machen.

Wie kann eine Zentralbank die Digitalisierung zum Nutzen der Gesellschaft einsetzen?  Mit einer durch die Zentralbank ausgegebenen Digitalwährung. In den USA käme eine solche digitale Zentralbankenwährung insbesondere der grossen Anzahl von Haushalten zugute, die über keine Bankverbindung verfügen. Ihnen wäre sozusagen von Staates wegen ein Bankkonto geben.

Wie werden die Zentralbanken in 25 Jahren aussehen?  Ich bin da eher konservativ und denke, dass sie wahrscheinlich nicht viel anders aussehen werden als heute. Aber letztlich habe ich natürlich keine Glaskugel. Gerade im Digitalzeitalter sind neue Dinge plötzlich da.

Die Einführung von durch Zentralbanken herausgegebenen Digitalwährungen wird zurzeit vermehrt diskutiert. Für wie realistisch halten Sie einen solchen Schritt?  Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine der drei grossen Zentralbanken, also die Fed, die EZB oder die Bank of Japan in absehbarer Zeit einen solchen Schritt gehen wird. Viel wahrscheinlicher halte ich es in kleineren Ländern wie beispielsweise Schweden.

Warum würde eine Zentralbank dann eine eigene Digitalwährung ausgeben wollen? Ein Vorteil wäre, dass die Notwendigkeit für Gegenparteien und die Einlagensicherung entfiele.

  • David Andolfatto ist Akademiker und Vizepräsident der Federal Reserve Bank St. Louis. Auf seinem persönlichen Blog publiziert er Artikel zu den unterschiedlichsten ökonomischen Themen.

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