«Wenn das investierte Volumen steigt, fallen die Gebühren»

Der weltweit zweitgrösste Asset-Manager Vanguard hat sich seit der Gründung 1975 der Demokratisierung der Geldanlage verschrieben. Im Interview spricht Andreas Zingg, Länderchef für die Schweiz und Liechtenstein, über Gebühren, unnötige Themen-ETF und die Standhaftigkeit der Branche während der Corona-Krise.

Text: Rino Borini
Vanguard Andreas Zingg

Herr Zingg, eine lange Zeit hiess es, ETF würden den Abwärtstrend in einer globalen Börsenkrise zusätzlich befeuern. Im Frühling haben wir einen starken Einbruch erlebt, ein negativer Einfluss der ETF konnte jedoch nicht festgestellt werden?

Andreas Zingg* Da bin ich absolut gleicher Meinung. Kürzlich gab unser CEO Tim Buckley der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein Interview. Der Titel lautete: «ETF sind die Helden der Krise». Ich finde, dieser Titel trifft ins Schwarze, ETF haben während Covid-19 den x-ten Lackmustest bestanden. Eine solche Extremsituation wie im März hatten wir an den globalen Finanzmärkten schon lange nicht mehr erlebt.

Bei Aktien und Obligationen war die Liquidität sozusagen über Nacht weg. Wie sah es bei den ETF aus?

Es gab in dieser Zeit gerade mal zwei Instrumente, die liquide waren: Staatsanleihen – jedoch nur mit Einschränkungen – und ETF. Zentral für die Liquidität von ETF ist der Creation-/Redemption-Prozess, also die Schaffung oder Auflösung von ETF-Anteilen (Erklärung dazu im Ratgeber; die Red.). Dieser lief einwandfrei: Bei rund bei 90 Prozent der Transaktionen standen dem Verkäufer ein Käufer gegenüber. Die Redemptions, also ETF-Anteile, die mangels Nachfrage vom Markt verschwinden, haben sich weltweit in sehr engen Grenzen gehalten. Bei unseren Produkten konnten wir sogar Zuflüsse verbuchen.

Aber die Handelskosten sind gestiegen.

Jawohl, die wurden teurer, auch aufgrund der gestiegenen Volatilität. Wenn ein Anleger eben genau in diesen stürmischen Zeiten verkaufen wollte, dann waren höhere Spreads der Preis dafür. Wir haben unseren Kunden empfohlen, ein Rebalancing ihres Portfolios durchzuführen und nicht in Panik zu verfallen. Seit eh und je pochen wir auf eine breite Diversifikation. Anleger, die unsere Ratschläge befolgten, sind sehr gut durch die Krise gekommen.

Obligationen-ETF standen immer im Schatten der Aktienprodukte. Erhalten sie aufgrund der Corona-Krise nun mehr Aufmerksamkeit?

Ich glaube schon. Viele aktive Anleihenprodukte weisen oft eine hohe Komplexität auf. Ein solches Produkt kauft man nicht einfach so, sondern man muss sich mit den Spezialisten austauschen. Insbesondere während des Lockdowns haben Anleger wohl die Einfachheit von Obligationen-ETF schätzen gelernt.

Man sagt, aktives Management lohne sich insbesondere bei Anleihen. Warum soll ein Anleger dennoch auf ETF setzen und Renditepotenzial verschenken?

Dass aktives Management bei Fixed Income viel besser funktioniert als in anderen Anlageklassen, ist ein Mythos. Aber bleiben wir bei der Coronapandemie: Niemand konnte den Umfang dieser Krise und die Marktverwerfungen voraussehen. Zudem zeigte sich, dass aktive Strategien auch in Krisenzeiten nicht unbedingt besser sind. Darum glaube ich schon, dass ETF und Indexfonds von der Corona-Krise zusätzlich profitieren.

ETF sind ein Skalengeschäft, seit Jahren ist von einer Marktkonsolidierung die Rede. Ich sehe keine, Sie schon?

Es findet keine Konsolidierung statt. Blicken wir fünf Jahre zurück: Damals gab es 50 Anbieter, jetzt sind es 70. Die drei grössten Anbieter, dazu gehören wir auch, hatten vor fünf Jahren eine leicht höhere Konzentration als heute.

Dafür sanken die Gebühren.

Das stimmt. Blicken wir auf die Gebührenentwicklung der letzten fünf Jahre: Damals lagen diese im Durchschnitt bei 36 Basispunkten, aktuell stehen diese bei 25 Basispunkten. Die Gebühren sind also durchschnittlich um einen Drittel gesunken, gleichzeitig haben sich die investierten Vermögen in dieser Zeitspanne verdoppelt.

Bei genauer Betrachtung sieht man, dass die Gebühren insbesondere bei Core-ETF, also Indexprodukten auf Kernmärkte, ins Rutschen gekommen sind.

Ja das ist so. Es gibt immer noch viele börsengehandelte Indexfonds, die schlicht zu teuer sind. Ich sehe noch Produkte zu 50, 60 sogar bis zu 90 Basispunkte im Markt. Das ist einfach zu teuer.

Vielfach sind es Themen-ETF, die teurer sind. Diese Vehikel schossen in den letzten Monaten wie Pilze aus dem Boden. Ist eine höhere TER gerechtfertigt? Schliesslich bilden sie Aktien aus einem liquiden Index ab.

Aus unserer Sicht braucht man diese Instrumente für den langfristigen Anlageerfolg nicht zwingend. Mit Core-ETF ist ein Investor breit diversifiziert und partizipiert automatisch von all diesen Themen. Wenn ein Anleger in einen S&P 500 Index investiert, dann ist er bereits massiv in Tech-Unternehmen investiert. Warum soll dieser Investor beispielsweise zusätzlich in einen ETF investieren, der ein hippes Digitalthema abbildet? Er gibt nicht nur Diversifikationspotenziale auf, es wird noch schlimmer: In Kombination mit einem Core-ETF werden gewisse Highflyer-Aktien, wie beispielsweise die FAANG-Stocks, übergewichtet. Ich finde das nicht sehr intelligent. Nochmals, für den Anlageerfolg braucht es Themen-ETF nicht. Und diese sind teurer, vielleicht auch deswegen, weil die Anbieter solcher Produkte wissen, dass wir das nicht machen.

Wenn Vanguard neue Märkte abdeckt, sinken also die Preise?

Vanguard verfolgt ein einfaches Prinzip: Wenn das investiere Volumen stark steigt, senken wir die Gebühren. Wir geben die Skaleneffekte durch unsere Unternehmensstruktur direkt dem Endinvestor weiter. Das wissen unsere Kunden, auf diesem Vertrauen können wir aufbauen. Wir sehen aber immer wieder Konkurrenzprodukte, die volumenmässig stark wachsen, die Gebühren aber noch über längere Zeit hoch bleiben.

In letzter Zeit sind zahlreiche ESG-Lösungen auf den Markt gekommen. Ist Ihre Meinung zu Nachhaltigkeits-ETF ebenso kritisch wie zu Themen-ETF?

Ja und Nein. Nein, weil Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema ist und für die nächste Generation von Investoren wird Nachhaltigkeit ein wichtiges Kriterium bei der Geldanlage. Aber dieses Thema ist sehr komplex.

Jetzt die Kritik. Gibt es zu viele Produkte?

Nicht nur das. Es prallen ganz unterschiedliche Philosophien aufeinander, was es für Investoren nicht einfach macht. ETF sollten immer einfach und transparent sein. Aber wir haben auch ein Problem bei der Qualität der Performance. Wir haben diese bei verschiedenen Instrumenten auf eine längere Frist untersucht. Wir haben eine breite Verteilung der Renditen festgestellt. Letztlich aber will ein Anleger möglichst exakt die Rendite des zugrundeliegenden Marktes erzielen, einfach noch mit einem ESG-Layer darüber.

Haben Sie deswegen keine nachhaltigen ETF im Angebot?

In den USA haben wir Nachhaltigkeits-ETF. Wir schlagen aber einen anderen Weg ein, sozusagen ESG 1.0. Wir nehmen alle Aktien eines Aktienmarktes, somit sind gross- wie auch kleinkapitalisierte Unternehmen enthalten. Und dann gehen wir nach einem Ausschlussverfahren vor, sprich, wir schliessen gewisse Branchen und Firmen aus. Unser Ziel ist es, dass die Rendite und das Risiko eines ESG-Portfolios möglichst nahe am Gesamtmarkt sein sollte. Als Asset-Manager hat man im Bereich der Governance auch noch andere Möglichkeiten, Einfluss auf ein Unternehmen zu erhöhen, wenn nicht ESG-konform gewirtschaftet wird.

Indem Vanguard als Grossaktionär mit den Unternehmen redet?

Wir müssen Verantwortung übernehmen und eingreifen, wenn das Verhalten einer Firma nicht unseren Ansprüchen entspricht. Unser wichtigstes Instrument ist der Dialog mit dem Management. Diese Gespräche finden hinter verschlossenen Türen statt, wir sind keine Aktivisten. Wir legen aber offen, mit welchen Firmen wir worüber gesprochen haben. Durch konstruktiven Dialog kann man als Grossaktionär viel bewegen.

Sie könnten auch die Macht der Stimmrechte einsetzen.

Genau, als letzte Möglichkeit können wir mit unseren Stimmrechten gegen das Management stimmen.

Es gab früher Kritik wegen fehlender Transparenz im Bereich der Wertpapierleihe und bei synthetischen Produkten. Sind diese Einwände noch aktuell?

Früher hat man ETF für alles verantwortlich gemacht, teilweise zu Recht aber in vielen Fällen auch übertrieben. Dennoch, die ganze ETF-Branche hat viele Fortschritte in diesen Themen gemacht. Ich wünsche mir, dass unsere Transparenzanstrengungen nun auch auf andere Finanzprodukte überschwappen. Die grosse Mehrheit der Gelder liegt immer noch in aktiven Produkten und da wünsche ich mir schon mehr Transparenz: Wie wird die Wertpapierleihe gemacht, wie wird besichert, was gibt es für strukturelle Risiken et cetera. Fakt ist, dass der Nachholbedarf ganz klar auf der aktiven Seite und nicht auf der passiven Seite ist.

Ist die Diskussion aktiv versus passiv überhaupt noch relevant?

Die Anbieter befeuern das Thema nicht mehr. Aber immer noch stellen sich viele Anleger die Frage, ob sie in aktive oder passive Vehikel investieren sollen. Für Vanguard geht es mehr um hohe oder tiefe Kosten – mit der Folgefrage, ob die Umsetzung aktiv oder passiv geschieht. Übrigens, ein Fünftel der von uns verwalteten Vermögen sind aktiv gemanagt. Aber auch hier sind unsere Retailshare-Klassen markant günstiger als die von traditionellen Anbietern mit entsprechender Performance.

Kann man sagen, dass teure Produkte per se schlechtere Renditen generieren?

Wenn ich die Statistik heranziehe, dann ist es in den meisten Fällen schon so, das teure Fonds oft auf lange Frist eine schlechtere Performance aufweisen. Darum sollte die Diskussion viel mehr um teuer oder günstig geführt werden und nicht aktiv oder passiv.

Aber es gibt viele gute aktive Manager, die regelmässig die Benchmark schlagen.

Ja, es gibt gute aktive Manager. Aber die Selektion von aktiven Managern ist ein aufwändiger Prozess. Und letztlich benötigt man viel Wissen und inzwischen auch Systeme, um diese zu selektieren. Ob das ein Privatanleger kann? Deswegen setzen immer mehr Investoren auf ETF, auch die Profis. Wenn jemand aber die Fähigkeit und die Zeit hat, die richtigen aktiven Manager zu evaluieren, dann spricht nichts gegen aktiv. Das macht dann absolut Sinn.

Sie sind für das Schweizer Geschäft verantwortlich. Doch Vanguard hat keinen einzigen ETF auf einen Schweizer Basiswert.

Ich hoffe die Benachteiligung ausländischer Fonds und ETF, beispielsweise durch die fällige Stempelsteuer bei Kauf- und Verkauf, fällt irgendwann mal. Zudem wäre es wünschenswert, wenn hierzulande alle Produkttypen gleichbehandelt werden. Strukturierte Produkte beispielsweise haben keine Stempelsteuer, ETF schon. Für uns macht es keinen Sinn nun eigens eine Schweizer Plattform aufzubauen. Denn diese Produkte können wir nicht international skalieren. Aber wir haben schon eine Strategie, wie wir Schweizer Investor mit unseren Vorzügen überzeugen können.

ETF haben die Geldanlage demokratisiert. Kleinanleger können heute fast so günstig und professionell handeln wie Grossinvestoren. Wo es immer noch harzt, ist bei der Beratung.

Vanguard hat Low-Cost-Investing weltweit ausgerollt und wir sehen noch viel Arbeit vor uns. Und die Beratung ist der nächste Schritt: Es muss doch sein, dass heute alle Kunden, ob vermögend oder eben weniger vermögend, die Möglichkeit haben, ihr Geld erfolgsversprechend anzulegen – zu guten Konditionen. Die Beratung muss für alle zugänglich werden, zu Preisen welche die Rendite nicht wegfrisst

*Andreas Zingg ist Leiter des Geschäfts Schweiz und Liechtenstein bei Vanguard Investments Switzerland GmbH. Er ist seit 2016 bei Vanguard tätig. Bevor er seine derzeitige Position übernahm, war er Leiter iShares Sales Middle East & Africa, davor Leiter iShares Sales für die deutschsprachige Schweiz bei BlackRock. Bevor er 2010 zu BlackRock stiess, war Andreas Zingg bei UBS Global Asset Management tätig, zuletzt als Senior Product Specialist für UBS ETFs.


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