«Free-Trading» ist in den USA bereits Realität

Wir leben in der Zeit der Nullen Rendite sowie Gebühren tendieren immer mehr gegen null. Ist «Free-Trading» Fluch oder Segen?

Text: Pascal Hügli

Null- oder gar Negativzinsen sind in der Finanzwelt längst Realität. Warfen gewisse Vermögenswerte, allen voran Staatsanleihen, noch vor einigen Jahrzehnten satte Renditen ab, zahlt man bei japanischen, deutschen oder Schweizer Staatspapieren heute drauf, wenn man sie bis zur Fälligkeit hält.

Keine Zinsen

Das Nullzinsumfeld lässt Anleger nicht nur nach neuen Investitionsmöglichkeiten Ausschau halten, es führt auch dazu, dass sie bei etablierten Vermögenswerten genauer auf die Kosten schauen. Die Anleger scheinen heute preissenitiver als früher: In Zeiten hoher Renditen fallen ein paar Basispunkte kaum ins Gewicht, heute zählt jeder Zehntelprozentpunkt. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass Finanzdienstleister ihre Gebühren in jüngster Zeit noch stärker reduzieren mussten. Auf den Vanguard-Effekt folgte der Robinhood-Effekt. Angetrieben durch das Startup Robinhood aus dem Silicon Valley sind die Handelsgebühren für Wertpapiere auf breiter Fläche auf Null gedrückt worden.

Keine Kosten: Free-Trading

Das erste grosse Handelshaus, das den kommissionslosen Online-Handel eingeführt hat, war Charles Schwab im vergangenen Oktober. Weitere Anbieter standen Gewehr bei Fuss und senkten ihre Gebühren ebenfalls auf Null. Mit dem Beginn des neuen Jahres hat auch Vanguard einen grossen Schritt angekündigt: Der ETF-Anbieter bietet allen Kunden ab sofort eine kommissionsfreie Handelsplattform, die über das reine ETF-Angebot hinausgeht. Die Kunden profitieren somit auch bei Aktienkauf und Rebalancing sowie dem Dollar-Cost-Averaging und Tax-Lost-Harvesting von den niedrigen Kosten. Dabei dürfte kommissionsfreier Online-Handel bloss der Anfang sein.

Auch andere Gebühren, allen voran klassische Verwaltungsgebühren stehen unter Druck. Wird diese Disruption etablierten Finanzdienstleistern den Kopf kosten? Wohl kaum. Noch immer verfügen sie über genügend Einkünfte. Charles Schwab beispielsweise verdient bis zu 70 Prozent im Zinsgeschäft, zumal viele Kunden in Cash investiert sind. Gleichzeitig will die Firma das Geschäft mit Krediten forcieren. Denn in diese Richtung geht es denn auch bereits: die Opportunitätskosten von barliegendem Cash sind zu hoch, weshalb es investiert werden muss.

Anleger gewinnt

Für Investoren ist diese Entwicklung ein Gewinn. Vor lauter Nullgebühren sollten sie jedoch niemals die Gesamtkosten aus den Augen lassen. Denn nebst den Handelsgebühren gilt es immer auch andere, teils versteckte Kosten wie auch die Opportunitätskosten zu beachten.


Hintergrund: Fluch oder Segen

Der Trend bei Online-Handelsgebühren geht gegen null. Was die Kunden freut, stellt die Finanzdienstleister vor Herausforderungen. Für sie ist es stets ein Drahtseilakt zwischen Kannibalisierung und Chance. Während die Gebühren bei den einen nur wenige Prozentpunkte ausmachen, büssen andere bis zu 15 Prozent ihrer Einnahmen ein. Wie aber machen die Finanzdienstleister Geld mit Kunden, die keine Handelsgebühren bezahlen?

Free-Trading
Zum einen über das Zinsgeschäft, zumal viele Kunden in Cash investiert sind. Zum anderen über den Verkauf von Daten. Dabei werden die Daten von Kundenaufträgen, sogenannte Orders, an Hochfrequenzhändler verkauft. Letztere wissen auf dem Markt davon zu profitieren. In der Fachsprache nennt sich das «Payment for Order Flow».

Wie die Zahlen zeigen, hat diese Strategie unter den Finanzdienstleistern in den vergangenen Jahren an Beliebtheit gewonnen. In Zeiten umstrittener Methoden zur Datenmonetarisierung stellt sich die Frage, wie nachhaltig diese Herangehensweise ist. Insbesondere im Fall des Startups Robinhood lassen die Zahlen aufhorchen. So soll das Jungunternehmen 2018 mehr als 40 Prozent seiner Umsätze mit dem Verkauf von Orders an andere Finanzdienstleister gemacht haben.


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