2020 – Ein Rekordjahr zum Vergessen

2020 wird in den Geschichtsbüchern künftig viele Seiten einnehmen. Die Realwirtschaft ächzt unter der Pandemie, gleichzeitig verzeichnen Börsenkurse Allzeitrekorde. Dazu kommt ein Schulden-Tsunami, der kaum aufgehalten werden kann. Gleichgeblieben ist nur die Strategie, mit der Anleger am besten fahren.

Text: Rino Borini

Am 1.1.2020 war die Finanzwelt noch in Ordnung. Führende Aktienbarometer hatten das gerade abgelaufene Jahr mit Rekordwerten beendet, Investoren konnten auf satte Portfoliogewinne zurückblicken. Stellvertretend dafür stand der Weltindex (MSCI All Country), der mehr als 3’000 Unternehmen aus Industrie- wie Schwellenländern umfasst. Er wuchs 2019 um rund 25 Prozent.

Auch die ersten Wochen des Jahres 2020 waren verheissungsvoll. Experten äusserten sich optimistisch, denn durch das tiefe Zinsumfeld waren Anlagealternativen weiterhin rar gesät. Die Prognosen schienen sich zu bewahrheiten. So legte beispielsweise das Schweizer Aktienbarometer SMI bis zum 19. Februar um über fünf Prozent zu.

Mittlerweile wissen wir: Es kam anders. Als klar wurde, dass Corona zu einer weltweiten Pandemie führen würde, kam es weltweit zu massiven Kursverlusten. Alleine am Montag, 9. März 2020, verloren führende Aktienindizes bis zu 10 Prozent ihres Wertes – der höchste Tagesverlust seit dem 11. September 2001 – und somit mehr als in der Finanzmarktkrise und der Lehman-Pleite. Die schnelle Verbreitung des Covid-19-Virus war aber nicht der einzige Auslöser für die Kursverluste, auch der starke Einbruch des Ölpreises um bis zu 30 Prozent versetzte die Anleger in Panik. Es war der stärkste Einbruch seit dem Ende des Ersten Irakkriegs 1991.

Virus schockiert Börse

Der Crash in Raten setzte sich fort, und am 20. März hatten die Aktienindizes bereits die Gewinne der letzten drei Jahre eingebüsst. So auch das US-Barometer S&P 500, das wieder auf dem Stand vom Frühling 2017 notierte. Während der deutsche Aktienindex DAX sogar die Gewinne der letzten vier Jahre verlor, erging es dem Schweizer Aktienmarkt deutlich besser: Der SMI fiel «nur» auf das Niveau von Dezember 2018.

Gut sichtbar war die Panik beim Angstbarometer VSMI, das zwischenzeitlich fast 30 Prozent in die Höhe schnellte und den höchsten Stand seit der Finanzkrise 2008 erreichte. Zu solchen Ausnahmesituationen kommt es an der Börse immer wieder.

Beim Platzen der Immobilienblase vor über zehn Jahren verlor der S&P 500 über einen Zeitraum von 15 Monaten über die Hälfte seines Werts. Doch anders als 2020 dauerte es deutlich länger, bis sich die Kurse erholt hatten: Beinahe fünf Jahre mussten sich Anleger gedulden, bis das US-Leitbarometer wieder auf dem Niveau von Oktober 2007 notierte. Beim Covid-Crash dauerte die Erholung lediglich sechs Monate. Das ist umso bemerkenswerter, weil die Corona-Krise ja weiterhin andauert.

Der Optimismus der Börsianer dürfte vor allem in den aussergewöhnlichen Massnahmen der Notenbanken gründen: Die führenden Zentralbanken haben regelrecht die Geldschleuse geöffnet. Zwischen März und April pumpten die führenden G4-Zentralbanken (Federal Reserve, EZB, Bank of England und Bank of Japan) mehr Liquidität in die Märkte als auf dem Höhepunkt der Finanzkrise.

Jahresrenditen Aktienmärkte (Stand: 4. Dezember 2020)

Diversifikation kurzzeitig ausgeschaltet

Im Frühling galt an den Kapitalmärkten die Devise «Alles, was zuletzt gestiegen ist, muss raus». Die in Panik geratenen Investoren setzen auf Liquidität und warfen alles auf den Markt. Nicht nur Aktien, sondern auch Gold und Staatsanleihen. Die Marktverwerfungen zwangen insbesondere wohlhabende Kunden, die mit Kredit investiert waren, zum Verkauf. Kunden, die mittels Lombardkrediten ihre Anlagerendite erhöhen wollten, mussten sofort Cash liefern.

Diese Nachschusspflicht, sogenannte Margin Calls, können unerbittlich sein: Anleger mussten verkaufen, während sich die Kurse im freien Fall befanden und verstärkten die Marktverwerfungen dadurch zusätzlich. Offenbar war so viel Leverage in den Märkten, dass vielen regelrecht die Luft ausging – und so gerieten alle Anlageklassen in einen Abverkaufssog. Dadurch wurde sogar der viel gepriesene Diversifikationseffekt kurzzeitig ausser Kraft gesetzt.

Anleger, die sich von ihren Emotionen leiten liessen und Teile ihrer Anlagen im Frühling verkauften, werden sich heute ärgern. Denn die darauf folgende Erholung der Börsenmärkte war – trotz weiterhin unsicherer Aussichten – fulminant. Die Kurse erholten sich nicht nur, sie erreichten sogar wieder neue Rekorde. So zum Beispiel das älteste Börsenbarometer der Welt, der Dow Jones Industrial Index, der im November 2020 ein neues Allzeithoch erreichte.

Diese Marktverwerfungen zeigten ein weiteres Mal, dass eine gut definierte, langfristig ausgelegte Anlagestrategie nach wie vor zum Erfolg führt. Denn während Panikverkäufer grosse Verlust hinnehmen mussen, erging es Anlegern, die gelassen an ihren Anlagestrategie festhielten, deutlich besser.

Gold-ETF auf Rekord

Als sich die Corona-Krise im März zuspitzte, verlor auch das als Krisenwährung geltende Gold. Noch Anfang März notierte das Edelmetall auf dem Siebenjahreshoch von 1690 Dollar pro Unze. Zwei Wochen später waren es noch 1468 Dollar – 13 Prozent weniger. Dass Gold bei breiten Markteinbrüchen ebenfalls verliert, war auch schon während der Finanzkrise: 2008 fiel der Unzenpreis im Jahresverlauf von 1000 auf 750 Dollar. Gegen Ende der Finanzkrise startete das Edelmetall jedoch eine rasante Erholungsrally, die 2011 mit einem neuen Allzeithoch bei 1920 Dollar endete.

Im zweiten Quartal 2020 begann der Goldpreis jedoch eine spektakuläre Aufholjagd – und Anfang August notierte er bereits wieder auf einem Allzeithoch. Wer zum Tiefstand im März einstieg, konnte bis August bereits einen Kursgewinn von 40 Prozent verzeichnen. Seit dem Erreichen der Rekordmarke im August bewegt sich der Goldpreis eher lethargisch. Und Anfang Dezember ist er auf den tiefsten Stand seit fast vier Monaten gefallen.

Davon wenig betroffen sind – noch – physisch gedeckte Gold-ETF. Die weltweit verwalteten Volumen markierten im Coronajahr ebenso eine Rekordmarke. Inzwischen liegen in diesen ETF fast 3900 Tonnen Gold, wobei netto 51 Milliarden Dollar der Zuwächse von 2020 stammen, wie die Auswertungen des World Gold Council aufzeigen.

Bestände Gold-ETF in Mrd. Dollar

Bitcoin oder Gold 2.0?

Der klare Gewinner dieses Börsenjahres ist jedoch Bitcoin, die Mutter aller Kryptowährung, die gerne auch als «digitales Gold» bezeichnet wird. Wie das Edelmetall knackte auch Bitcoin einen neuen Rekord: Nach drei langen Jahren des Wartens ist es dem Bitcoin Ende November gelungen, das bisherige Allzeithoch vom Dezember 2017 (19’660 Dollar auf der Handelsplattform Bitstamp) zu übertreffen.

Da die Welt noch länger mit der Corona-Krise beschäftigt ist, fragt sich, welches dieser Assets einen besseren Krisenschutz bietet. Bedenkt man alleine das massive Gelddrucken, um gegen die Corona-Folgen anzukämpfen, sollte der Goldpreis weiterhin steigen. Denn letztlich gilt Gold immer noch als der sichere Hafen schlechthin. Doch genau diese Funktion wird dem Edelmetall von Bitcoin streitig gemacht. So meinte kürzlich Rick Rieder, Chief Investment Officer von Blackrock, dass Bitcoin Gold ersetzen könnte. Rieder begründet dies mit den besseren Eigenschaften von Bitcoin, insbesondere darauf, dass Transaktionen öffentlich einsehbar sind. Dass Bitcoin ein legitimier digitaler Wertspeicher ist, finden auch immer mehr Unternehmen und vermögende Privatpersonen (siehe auch Seite 11).

Bitcoin und die Volatilität

Ein Nachteil ist die immer noch hohe Volatilität, was Bitcoin als Zahlungsmittel unattraktiv macht. Ob sich ein Zahlungsmittel, das innerhalb eines Tages Wertschwankungen von zehn Prozent oder mehr aufweist, überhaupt durchsetzen kann, ist generell fraglich. Auch im Coronajahr glich der Bitcoin-Kurs einer Achterbahnfahrt. Wie auch Gold notierte Bitcoin während der Spitze der Marktverfehlungen auf einem 52-Wochentief (3864 Dollar). Ab da stieg der Preis – und Anfang Dezember hatte ein Bitoin 19’000 Dollar wert. Die Jahresperfomance? Stattliche 165 Prozent.

Nicht nur der Bitcoin ist in Bewegung, sondern der gesamte Markt für Kryptowährungen. Dessen Auswahl ist mittlerweile enorm: Weltweit gibt es nach aktuellen Schätzungen rund 7800 verschiedene Tokens mit einer gemeinsamen Marktkapitalisierung von zirka 570 Milliarden Dollar. Doch Kryptowährung ist nicht gleich Kryptowährung, unterschiedliche Tokens erfüllen unterschiedliche Zwecke. Besonders gefragt war Ethereum, die zweitbekannteste Kryptowährung, Sie legte 2020 rund 355 Prozent zu. Doch Ethereum verfolgt ein anderes Ziel als Bitcoin.

Bitcoin & Ethereum notieren auf Jahreshöchst

Krypto-Investoren sind darum gefordert, die Eigenschaften eines jeden Tokens zu kennen und zu hinterfragen. Das ist alles andere als trivial. Weniger kompliziert ist die Korrelaton der meisten Tokens mit Bitcoin: Sie ist stark positiv. Stürzt die Mutter aller Kryptowährungen – so wie schon mehrfach passiert – stark ab, dürften auch sie deutlich nachgeben.

Rekordhohe Schuldenberge

Aus Investorensicht sind die zahlreichen Rekorde von Aktien, Gold oder Kryptowährungen Balsam auf die Wunden des Frühlings. Die Frage ist, wie lange es auf diese Weise gut gehen kann. Die Zinsen sind weltweit am Boden, in gewissen Volkswirtschaften sogar im Minus. Damit es nicht zu einem Kollaps kommt, haben Staaten gigantische Hilfs- und Konjunkturpakete geschnürt – alles auf Pump. Die seit der Finanzkrise wachsende Schuldenblase ist innert weniger Monate nochmals extrem stark gewachsen.

Das Institute of International Finance IFF schätzt, dass Regierungen und Notenbanken in den ersten drei Quartalen dieses Jahres mindestens 15 Billionen Dollar, also 15’000 Milliarden, für die Corona-Pandemie und deren Folgen gesprochen haben. Damit erreicht auch der weltweite Schuldenberg – inklusive der Verbindlichkeiten von Unternehmen, Banken und Privathaushalten – ein neues Allzeithoch: 270 Billionen Dollar.

Die westliche Welt ist im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt so hoch verschuldet wie zuletzt Ende des Zweiten Weltkriegs. Aufstrebende Schwellenländer sind so stark verschuldet wie überhaupt noch nie. Die exzessive Geldpolitik ermöglicht die weitere Verschuldung von Firmen und könnte früher oder später zu einer grossen Insolvenzwelle führen. Denn durch diese Schuldenpolitik wächst die Zahl von Zombie-Unternehmen rapide an.

Der oberste Schuldenmacher sind nach wie vor die USA, deren Schulden so hoch sind wie noch nie. Besorgniserregend ist, dass rund 20 Prozent aller im Umlauf befindlichen Dollar im Jahr 2020 gedruckt wurden. Auch das natürlich: ein absoluter (Negativ-)Rekord.

Dollarnoten im Umlauf

Sind die Regierungen dieser Welt in der Schuldenfalle gefangen? Es dürfte schwierig werden, die Ausgaben zu senken und parallel die Einnahmen zu erhöhen, um die Staatshaushalte wieder auszugleichen. Es ist zu befürchten, dass die Schuldentürme weiter wachsen könnten. Mittel- bis langfristig drohen weitere böse Überraschungen, sodass auch umfassende monetäre Reformen irgendwann ins Spiel gebracht werden dürften.

Für Investoren gilt im Grossen und Ganzen jedoch immer noch dasselbe wie vor diesem sehr turbulenten Jahr. Schwarze Schwäne können zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen werden – und der beste Weg, sein Kapital langfristig zu halten und mehren, ist ein gut strukturiertes, langfristig orientiertes Anlagedepot.


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