Bitcoin und der Geldtsunami

Die Coronakrise hat uns gegenwärtig im Griff. Bitcoin wurde vom Virus talwärts geschickt. Doch könnte die Kryptowährung schon bald vom anrollenden Geldtsunami profitieren?

Text: Pascal Hügli

Bitcoin CoronakriseEs war der Sales Pitch der vergangenen Jahre schlechthin: Krypto-Investoren priesen traditionellen Vermögensverwaltern den Bitcoin als optimale Portfolio-Ergänzung an. Da Bitcoin mit konventionellen Anlageklassen nicht korreliere, verbessere eine Beimischung der Kryptowährung das Rendite-Risiko-Profil eines Anlageportfolios – jedes Anlageportfolios. Diese Nicht-Korrelation wurde mit verschiedenen, wenn auch sehr kurzen Datenreihen unter Beweis gestellt. Griechenlandkrise, Zypern-Bail-In, Brexit-Abstimmung: Bei all diesen Ereignissen, so legen es die Zahlen nahe, haben Kryptoassets herkömmlichen Anlagewerte outperformt.

Dazu kommen die Ähnlichkeiten, die Bitcoin zu Gold aufweist: Von beiden gibt es nur ein begrenztes Angebot, es gibt keine Gegenpartei und sie werden teilweise ausserhalb der etablierten Finanzstrukturen gehalten. Dies verleitete einige Kryptoinvestoren dazu, Bitcoin als Safe Haven zu betrachten. Die Idee hinter einem solchen: Wenn Märkte in Turbulenzen geraten, flüchten Anleger stets in sichere Werte. Der sicherste aller Häfen ist, historisch betrachtet, Gold. Für viele Krypto-Anleger lag daher nahe, dass die Marktteilnehmer bei einer nächsten Marktkorrektur nicht nur in das Edelmetall flüchten würden, sondern eben auch in Bitcoin.

Kein sicherer Hafen in Sicht

Dass es sich dabei um nicht mehr als eine Theorie handelt, ist spätestens seit Mitte März klar. Im Zuge der Coronakrise hat auch der Bitcoinpreis stark korrigiert: Genau wie typische Risiko-Assets wurden Kryptoassets brutal abverkauft. Statt einem «Flight to Safety», einer Flucht in Sicherheit, kam es bei Bitcoin innert Stunden zu einem «Fight for Relevancy», einem Überlebenskampf. So jedenfalls müssen sich Kryptoinvestoren gefühlt haben, also der Bitcoinkurs in nur wenigen Stunden über 30 Prozent abstürzte.

Auf der Krypto-Derivatebörse BitMEX wurden in nur einer Stunde nicht weniger als 500 Millionen Dollar an Long-Positionen liquidiert. Zahlreiche Händler sahen sich plötzlich mit Margin Calls konfrontiert. Das heisst, sie wurden unmittelbar nachschusspflichtig, was weitere Liquidationen nach sich zog. In der Summe führt dies dazu, dass der Bitcoinpreis in nur zwei Tagen insgesamt um 50 Prozent korrigierte. Schadenfreudig twitterten Kritiker, man habe in der Bitcoin-Szene vermutlich das Halving missverstanden. 

Angesichts dieser Geschehnisse setzte auch in der Kryptowelt ein Reflexionsprozess ein. Weshalb vermochte Bitcoin seinem angepriesenen Status als Safe Haven nicht gerecht werden? Haben Krypto-Investor ihren Mund zu voll genommen? Haben sie falsche Erwartungen geschürt?


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Im Nachhinein bestätigt sich einmal mehr, was sich jeder Anleger zu Herzen nehmen sollte: Niemand, kein Experte und schon gar kein Bitcoin-Experte, kann die Zukunft voraussagen. Für diejenigen, die richtig gelegen haben, gilt somit im Umkehrschluss: Sie haben einfach Glück gehabt. 

Perspektivenwechsel ist gefragt

Weil wir die Zukunft nicht voraussagen können, drängt sich aber auch folgender Schluss auf: Ob Bitcoin nicht doch noch zum sicheren Hafen wird, können wir nicht abschliessend beurteilen. Vielleicht in einer künftigen Krise, vielleicht aber auch in der Coronakrise, falls sie in eine weltweite, Monate anhaltende Rezession übergehen sollte.

Skeptiker dürften an dieser Stelle kontern: Dieses Argument ist nicht sehr einfallsreich, da es die Entscheidung einfach in die ungewisse Zukunft verschiebt. Abschwenken statt überdenken.

Die Argumentation geht so: Man darf Bitcoin nicht als starres Konzept einer sicheren Portfolioanlage betrachten, sondern als dynamische Wette auf einen potenziell sicheren Hafen. «Bitcoin ist eine (Call) Option auf ein zukünftiges alternatives Finanzsystem», sagt der bekannte Makroinvestor Raoul Pal. 

Denn Kryptowährungen sind ja nicht nur knappe und liquide Vermögenswerte ohne Gegenparteirisiko. Sie – respektive die Blockchain – haben das Potenzial, ein neues globales Zahlungs- und Finanznetzwerk zu bilden. Hier befinden wir uns immer noch am Anfang einer langen Entwicklung.

Noch ist Bitcoin ein Finanznetzwerk in seiner Findungsphase, Das erklärt auch die hohe Volatilität, die Bitcoin als Asset aufweist. Dieses Finanznetzwerk ist noch zu stark im Wachstum begriffen, als dass sein zugrundeliegendes Asset bereits ein Safe Haven sein könnte. Bitcoin als Asset ist eher als Onboarding-Vehikel in die Kryptowelt zu verstehen.  

Profiteur des anrollenden Geldtsunamis

Dass Bitcoin und andere Kryptowährungen sich in den kommenden Monaten schnell erholen, ist nicht auszuschliessen. Doch wie eingangs gesagt: Niemand kann die Zukunft voraussagen. Was wir aber wissen: Die Zentralbanken fluten das Finanzsystem derzeit in noch nie dagewesenem Ausmass mit Liquidität. Zum Vergleich: In der Woche der grössten Interventionen nach der Finanzkrise 2008 schuf die US-Notenbank 162 Milliarden Dollar zur Monetarisierung von Wertschriften. In der Coronakrise wurden dafür bereits 307 Milliarden aufgewendet, und es dürfte noch massiv mehr werden.

Was die Fed in früheren Quantitative-Easing-Programmen über mehrere Monate an Liquidität zur Verfügung gestellt hat, liefert sie Finanzakteuren derzeit im Tagestakt. Ein Schelm, wer denkt, dass Bitcoin davon nicht profitieren wird. Und falls wir die vorübergehende Schliessung der Finanzmärkte oder gar einen Totalkollaps erleben – ein unwahrscheinliches, wenn auch noch nie so wahrscheinliches Szenario wie heute –, dürfte Bitcoin weiter funktional sein. Und vielleicht in die Bresche springen. Oder – das scheint noch immer realistischer – die Finanz- und Wirtschaftsordnung wird mittels immer mehr Liquidität von Zentralbanken am Leben gehalten. Liquidität, die auch überproportional stark Bitcoin zufliessen wird. Bitcoin würde somit durch den von Zentralbanken entfesselten Geldtsunami doch noch zu einem sicheren Hafen, um bei der Analogie zu bleiben. 


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