Die Aussagekraft von kurzfristigen Aktienprognosen ist gering

Die Treffsicherheit von kurzfristigen Aktienprognosen ist relativ gering. Dennoch gehören Analystenprognosen in der Finanzindustrie zum Alltag und dienen oft als Grundlage für Anlageentscheide. Damit das Renditepotential von Aktien erschlossen werden kann, ist die langfristige Perspektive zentral.

Text: Daniel Steger & Fabian Schmid*
Aktienprognosen

Aktienprognosen stehen in der Finanzindustrie auf der Tagesordnung. Die Kauf- und Verkaufsempfehlungen der Profis dienen vielen Anlegern als Grundlage für ihre Entscheide. Die Qualität und die praktische Relevanz dieser kurzfristigen, in der Regel auf die nächsten zwölf Monate bezogenen Prognosen, ist allerdings bescheiden, wie eine Untersuchung zeigt.

In dieser Analyse wurden Prognosen auf den US-Aktienmarkt mit den effektiven Jahresendwerten des S&P 500 Index zwischen 2000 und 2018 verglichen. Die Differenz entspricht dem Prognosefehler. Bei den Schätzungen handelt es sich um die durchschnittlichen Preisziele von Börsenstrategen renommierter Banken für das jeweils kommende Jahr.

Profis schlagen Märkte nicht

Gemäss dieser Analyse beträgt der Prognosefehler der Finanzprofis im Durchschnitt 13 Prozent. Orientiert man sich für die Jahresprognosen ganz einfach am langfristigen Trend der Aktienmarktentwicklung, resultiert derselbe Wert. Nimmt man also als Schätzwert die annualisierte Rendite des S&P 500 seit Lancierung 1957 von rund zehn Prozent (inklusive Dividenden), führt das auch zu einem Prognosefehler von 13 Prozent.

Der identische Prognosefehler resultiert für pauschal geschätzte Wertveränderungen von drei bis 13 Prozent pro Jahr. Eine weitere Erkenntnis: Analysten schätzen die Kursentwicklungen positiver ein. Doch die Frage, ob sich die Märkte positiv oder negativ entwickeln, scheint nicht einfach beantwortbar zu sein. Die Daten zeigen keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen den erstellten Prognosen und der realisierten Entwicklung des Index. Börsenstrategen sind in der kurzen Frist offenbar nicht in der Lage, eine einfache Prognose der Aktienmarktentwicklung zu schlagen.

Effiziente Märkte

Die Resultate der Untersuchung überraschen wenig. Kurzfristig werden Aktienkurse typischerweise weniger durch vermeintlich abschätzbare Fundamentaldaten getrieben, sondern durch zufällige, unvorhersehbare Ereignisse wie Überraschungen der Notenbanken. An diesem Punkt kommt die Theorie der effizienten Märkte ins Spiel, die in den 1960er Jahren von Eugene Fama entwickelt wurde. Dabei handelt es sich um ein Modell über das Verhalten der Märkte. Im Wesentlichen besagt es, dass Wertpapierpreise in einem effizienten Markt alle öffentlich verfügbaren Informationen stets beinhalten. Das bedeutet, dass nur neue Informationen zu Kursänderungen führen sollten. Da laufend neue Informationen «in den Markt» gelangen, ändern sich auch die Aktienkurse laufend.

Per Definition führen also zufällige Informationen in der kurzen Frist zu zufälligen Aktienkursen. Das heisst allerdings nicht, dass die Märkte perfekt sind und keine Preisanomalien beziehungsweise Marktineffizienzen auftreten können. Die Tatsache, dass Aktienkurse in der kurzen Frist nur schwer prognostizierbar sind, bedeutet auch nicht, dass Börsenstrategen und Finanzanalysten, wie oft beklagt, schlechte Arbeit leisten. Im Gegenteil: sie sind diejenigen, die unvorhersehbare, neue Informationen systematisch verarbeiten, Opportunitäten ausschöpfen und entsprechend zur Effizienz der Märkte beitragen.

Panik, Gier und Angst

Ein weiterer Faktor, der die kurzfristige Prognosefähigkeit erschwert, sind Effekte, die in der verhaltensorientierten Finanzmarkttheorie untersucht werden. Im Zentrum der Forschung steht die Psychologie der Anleger. Dabei geht man davon aus, dass Menschen keineswegs nur rational entscheiden, sondern oft irrational handeln und Fehler machen. Sie lassen sich beispielsweise von Euphorie, Panik, Gier oder Angst leiten – und das beeinflusst die Preise. Dazu gehören Überreaktionen bei schlechten Nachrichten oder zögerliches Handeln bei positiven Informationen. Somit erscheint es logisch, dass Aktienmärkte in der kurzen Frist einem Zufallspfad folgen.

In der Wissenschaft spricht man von einem «Random Walk». Das bedeutet allerdings nicht, dass sich Anleger von den Aktienmärkten verabschieden müssen. Vielmehr sollten sie sich nicht vom kurzfristigen Lärm beirren lassen und auf die langfristige Entwicklung fokussieren. Im langfristigen, historischen Durchschnitt konnten mit Aktien ansehnliche Jahresrenditen von rund sechs bis acht Prozent erzielt werden – ein Spitzenwert im Vergleich zu anderen Anlageklassen wie Immobilien oder Anleihen. Voraussetzung ist allerdings ein Anlagehorizont von mehreren Jahren, in dem fundamentale Grössen wie beispielsweise das Wertschöpfungspotenzial einer Unternehmung (Gewinn, Cashflow, Wachstum et cetera) zunehmend die Aktienkurse bestimmenden Faktoren darstellen dürften.

Es wäre an dieser Stelle also verfehlt, die fundamentale Aktienanalyse grundsätzlich zu verurteilen. In der langen Frist sollte der Preis ja den intrinsischen Wert (diskontierte Cashflows) einer Unternehmung widerspiegeln, die beiden Grössen sollten miteinander konvergieren. Doch um das langfristige Renditepotential erschliessen zu können, ist es unabdingbar, die kurzfristige Nervosität (Renditeschwankungen) an den Märkten in Kauf zu nehmen. Die in der langen Frist höhere zu erwartende Rendite von Aktien ist letztlich ja genau die Kompensation für das (kurzfristig) zu tragende Risiko.

Was Anleger tun können

Für Anleger kann es durchaus interessant sein, die jährlichen Börsenprognosen von Finanzprofis zu konsultieren. Wenn es aber um die langfristige Geldanlage geht, sollten sich Investoren nicht beirren lassen. Es empfiehlt sich, in effizienten «Core-Märkten» nach kostengünstigen Anlagen Ausschau zu halten. In Nischenbereichen oder weniger entwickelten Märkten mit relativ tiefer Markteffizienz dürfte sich die Suche nach den besten Anbietern hingegen durchaus lohnen.

Durch einen besseren Markt- und Informationszugang oder spezifischem Wissen in einem Sektor können allfällige Preisanomalien bei Aktien – sprich Abweichungen vom fairen und in der mittleren bis längeren Frist erwarteten Wert – aufgespürt und im Idealfall ausgenutzt werden. Letzten Endes sind die Märkte ziemlich effizient, doch der Weg zur Angleichung von Preis und Wert einer Aktie kann dauern. Und was auf der Reise zum Fair Value einer Aktie alles passieren wird, können auch kurzfristige Prognosen nicht vorhersagen.

* Dr. Daniel Steger ist Portfolio Manager bei de Pury Pictet Turrettini & Cie SA, Zürich.
*Dr. Fabian Schmid, CVA, CEO wevalue AG, Rheinfelden.


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