Neue Perspektiven gesucht

Negativzinsen, sinkende Margen, veraltete Systeme und politische Vorstösse: Banken stehen gehörig unter Druck. Hilft die Besinnung auf alte Werte oder muss sich die ganze Branche schleunigst neu erfinden? Eine echte Neo-Bank macht vor, wie es gehen könnte.

Text: Pascal Hügli

Was in der Finanzwelt hoch steigt, kann tief fallen – bis zu 80 Prozent, um es in Zahlen auszudrücken. Gemeint ist nicht der Preis des Bitcoins, sondern die Aktienkurse der beiden Schweizer Platzhirsche UBS und Credit Suisse. Sie stehen stellvertretend für den Bedeutungsverlust des gesamten Schweizer Finanzplatzes: Sein Anteil an der Wirtschaftsleistung ist seit 2000 von etwas über acht Prozent auf unter fünf Prozent gesunken. Eines der drückenden Probleme: die Negativzinsen. Seit ihrer Einführung Anfang 2015 haben Schweizer Banken bis 2018 6,3 Milliarden Franken an die Nationalbank bezahlt, damit diese auf ihr Geld aufpasst. Dieses Jahr sollen nochmals geschätzte 2,2 Milliarden Franken an die Währungshüter fliessen. Auch sinkende Margen setzen den Banken zu. Als Finanzintermediäre haben sie im Nullzinsumfeld zwar von steigenden Aktienmärkten profitieren können, was ihnen ein beträchtliches Volumenwachstum beschert hat. Das aber auf Kosten einer niedrigeren Profitabilität. Es gelingt ihnen zunehmend schlechter, auf Krediten und Wertschriften genügend hohe Kommissionen einzunehmen.

Eine weitere schwere Last auf den Schultern der Banken sind ihre in die Jahre gekommenen Strukturen und Systeme. Viele Prozesse geschehen immer noch manuell und sind daher ineffizient. Noch schlimmer: Laut einer Studie der Citibank fliessen 70 bis 80 Prozent aller IT-Ausgaben in den Unterhalt bestehender Systeme und nicht in Neuinvestitionen. Um diese Probleme zu kompensieren, fahren traditionelle Banken einen harten Sparkurs. Wo sie nur können, versuchen sie, Kosten zu senken – sei es beim Ketchup in der Kantine oder beim Personal. 2017 beschäftigten Schweizer Banken noch 93 555 Angestellte. Damit fiel die Zahl der Beschäftigten erstmals seit ihrer Erfassung unter 100 000. Der einzige Bereich, in dem sich die Sparbemühungen in Grenzen zu halten scheinen, sind Löhne und Boni der oberen Chargen.

Ökosystem statt Schrebergarten
Von Data Analytics über Machine Learning bis hin zur Blockchain: kein Schlagwort, an das sich die kriselnde Branche nicht klammert, um doch noch einen Ausweg aus der Misere zu finden. Dabei ist die Frage, die sich eigentlich stellt, viel grundsätzlicher: Müssen sich die Banken neu erfinden, um zu überleben?

Diese Frage beschäftigt auch die EU. Dort allerdings werden die Geldinstitute regulatorisch zu Veränderungen angestossen. So sind europäische Banken seit März 2018 dazu angehalten, ihre Schnittstellen zu öffnen und ihre Systeme autorisierten Dritten unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Dafür öffnen sich ihnen die Datentüren zu anderen Banken. Voraussichtlich ab September 2019 werden Finanzinstitute all diese sogenannten PSD2-Bestimmungen erfüllen müssen – andernfalls bekommen sie Ärger mit dem Regulator. Diese Änderung soll die Entwicklung weg vom Schrebergartendenken hin zu einem kooperativen Ökosystem anstossen. Subsumiert wird die Reform unter dem Begriff Open Banking. Mit der Öffnung der Schnittstellen soll eine offene Daten-Ökonomie entstehen, die es insbesondere Start-ups erleichtern dürfte, sich in die bestehende Netzwerkökonomie zu integrieren. Die Schweiz ist als Nicht-EU-Mitglied von PSD2 nicht betroffen. Eine ähnliche Regulierung wird abgelehnt, da sie als zu grosser Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit angesehen wird. Viel eher vertraut man auf den Markt, der darüber entscheiden soll, wie Banken und Drittanbieter zusammen neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln.

Mit dieser «Laissez-faire»-Herangehensweise mache man es sich zu einfach, kritisieren andere – ohne Druck respektive Regulierung werde nichts geschehen. Sich dem Open Banking zu verweigern, würde den Schweizer Banken mittelfristig mehr schaden als nutzen. Und Start-ups würden sich eher fürs Ausland entscheiden, so die Befürchtung. Diese Debatte etwas entschärft hat die Schweizerische Nationalbank. So sollen Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell auf den Zahlungsverkehr ausrichten, über den «Direct-Access»-Ansatz bei der Zentralbank ein Girokonto eröffnen können – vorausgesetzt, die Aufsichtsbehörde Finma hat ihnen die Fintech-Lizenz erteilt. Gleichzeitig erhalten sie Zugang zum SIC, dem Schweizer Interbanken- Zahlungssystem, das unter der Aufsicht der SNB von der SIX-Gruppe betrieben wird.

Volle Reserven
Der Schweizer Ansatz bringt eine fundamentale Änderung: Start-ups können nicht nur direkt, also ohne Hilfe einer Geschäftsbank, an das Schweizer Zahlungssystem andocken, sondern operieren zudem mit ihrem bei der SNB unterhaltenen Girokonto mit Vollgeld. Denn wer im Besitz der Fintech-Lizenz ist, hat als Unternehmen nicht die Erlaubnis, mit Kundengeldern Zins- oder Fristentransformationsgeschäfte zu betreiben. Obwohl man in der Schweiz eben erst eine Initiative zu Vollgeld verworfen hat, scheint das Thema bereits wieder sehr aktuell zu sein. Geldsystemkritiker plädieren dafür, Banken zur Vollreserve zu verpflichten, um Liquiditätskrisen zu verhindern. Skeptiker halten diesen Ansatz für illusorisch bis gefährlich, da die Bank in ihrer Funktion als Kreditgeber zu stark beschnitten würde. Beide Seiten behaupten von sich, für echtes Banking einzustehen.

Ein eigenes Firmen-Girokonto bei der SNB scheint ein vielversprechendes Verkaufsargument zu sein. Dessen ist sich auch das Schweizer Start-up Yapeal bewusst. Das Jungunternehmen will digitale Bankkonten in Kombination mit einer onlinefähigen Visa-Debitkarte anbieten. Dafür hat Yapeal die Fintech-Lizenz beantragt. Als digitale Bank der Zukunft will das Start-up dem Kunden eine bessere Dienstleistung im Bereich des Zahlungsverkehrs anbieten. Gleichzeitig sollen Kundengelder zu hundert Prozent sicher sein, weil mit dem Geld nicht gearbeitet wird.

Yapeal versucht, Banking von Grund auf neu zu denken. Während andere Anbieter im Hintergrund auf etablierte Strukturen setzen und im Wesentlichen einfach nur eine moderne Benutzeroberfläche anbieten, hat sich das Start-up entschlossen, die benötigten Services tatsächlich neu zu entwickeln. Yapeal will voll und ganz digital sein: Keine Medienbrüche, kein Papier, lautet die Devise. Zudem sollen die Anwendungen komplett auf neusten Cloud-Technologien basieren, «fully cloud-native» also. Laufen soll das System rund um die Uhr, sieben Tage die Woche in Realtime. Gleichwohl soll die Lösung skalierbar sein: Wird beispielsweise eine neue Sprache in der App implementiert, ist sie für Kunden sofort verfügbar, ohne App-Update. Eine wichtige Rolle beim Konzept von Yapeal spielen Daten. Dabei sieht man sich weniger als Bank, sondern mehr als Kumpel. Der «Financial Amigo» soll den Nutzern – basierend auf ihrem persönlichen Datenprofil – personalisierte und massgeschneiderte Angebote machen. Oder die App informiert den Nutzer darüber, dass er seinen Kaffee, den er jeden Morgen trinkt, um die Ecke günstiger erhält. Dabei soll die Datenhoheit stets beim Kunden bleiben.

Für die Yapster, so die Bezeichnung der Yapeal-App-Nutzer, soll jederzeit klar ersichtlich sein, wie die persönlichen Daten verwendet werden. Wer nicht will, dass mit den Daten gearbeitet wird, kann die Funktion über die App abstellen. Das Start-up strebt totale Transparenz an, auch bei Transaktion, die man innerhalb der App durchführt. Diese zeigt genau an, wo welche Kommissionen anfallen.

Ein mutiger Schritt
Einen guten Kundenservice und echte Transparenz sollten auch die Banken vermehrt offerieren können. Immerhin verfügen sie ebenfalls über Daten, nur nutzen sie diese noch zu wenig. Fragt man die Macher von Yapeal, sind daran vor allem alte Systeme und Strukturen schuld. Und eine Kultur, bei der die Kunden schon lange nicht mehr im Zentrum stehen. Selbst Geld verdienen wird Yapeal mit einer monatlichen Gebühr – ähnlich wie bei einem Handy-Abo.

Noch steht deren Höhe nicht fest. Ob eine monatliche Fixgebühr in einem so überschaubaren Markt wie der Schweiz allerdings zum Überleben ausreicht, muss sich noch zeigen. Und auch, ob das Jungunternehmen dem angestaubten Schweizer Banking tatsächlich einen Anstoss in Richtung Zukunft geben kann. Voraussichtlich im September 2019 soll die App offiziell lanciert werden. Etablierte Banken beobachten solche Start-up-Versuche mit Argusaugen. Was kommt beim Kunden an, was nicht? Dank ihrer Grösse und Finanzkraft können sie vielversprechende Ideen schnell kopieren oder die Anbieter übernehmen. Auf diese Weise profitiert das gesamte Ökosystem von der Innovation einzelner. Von echter Neuerfindung aufseiten der Grossen kann derzeit aber noch keine Rede sein.


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