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Werden Banken die fortschreitende Digitalisierung überleben? Wahrscheinlich schon, aber nur, wenn sie dafür aktiv etwas tun. Die sich wandelnden Kundenbedürfnisse ernst nehmen zum Beispiel.

Text: Pascal Hügli

Der Kodak-Moment stehe den Banken unmittelbar bevor, hört man in Finanzkreisen. Noch haben Banken sehr grosse Marktanteile, doch der durch die Digitalisierung vorangetriebene Wandel wird sie verringern, bis die Finanzhäuser ihre Tore schliessen müssen – wie der Kamera- und Filmpionier, der die Digitalfotografie verschlief. Dass dieses Schreckensszenario für Credit Suisse, UBS und Co. eintreffen wird, erscheint einigen Experten so gewiss wie der Kater nach einer durchzechten Nacht.

Stehen Banken wirklich schon mit einem Fuss im Grab? Dass die Kundenerwartungen stark gestiegen seien, bestätigt auch Andreas Kubli, der bei der UBS Schweiz zuständig ist für Fragen der Digitalisierung. Getrieben sei die neue Erwartungshaltung insbesondere durch Firmen wie Amazon, Apple oder Google, meint der Group Managing Director. Schon heute sind die grossen Technologiekonzerne an der Kundenschnittstelle und bieten Finanzdienstleistungen an, sei es im Zahlungsverkehr oder bei Kleinkreditfinanzierungen. Auch wenn die Entwicklungen vor der Finanzindustrie nicht Halt machen, sieht Kubli in der Digitalisierung im Bankensektor dennoch vielmehr eine Evolution als eine Revolution.

Innovation: kein Fremdwort

In der allgemeinen Debatte wird oft darüber gestritten, ob die allzu trägen Banken überhaupt noch zu nachhaltiger Innovation fähig seien. Ein viel genannter Gemeinplatz: Überregulierung und stark verkrustete Strukturen würden bei den Banken jegliche Innovationsfähigkeit im Keim ersticken. Dazu kommt der Vorwurf einer veralteten Geisteshaltung, bis in die Führungsetage. Ganz unbegründet sind diese Vorbehalte nicht. Wer aber genauer hinsieht, dem zeigt sich auch ein anderes Bild: Innovation in der Finanzwelt mag vielleicht selten von den Banken selbst ausgehen – doch, dass sie gekonnt auf bereits rollende Züge aufspringen können, steht ausser Frage. So waren es Nichtbanken wie Betterment, Wealthfront oder FutureAdvisor, die mit den ersten automatisierten Vermögensverwaltern auf den Markt kamen. Auch in der Schweiz war mit TrueWealth eine Nichtbank Vorreiter bei Robo-Advisory. Doch nach und nach machen sich auch die Banken daran, ihre Vermögensverwaltung zu digitalisieren.

Zudem bieten Banken vielversprechende Plattformen für Start-ups. In sogenannten Hackathons wetteifern unzählige Programmierer um die besten Ideen. Über Acceleratoren und Inkubatoren können sich Jungunternehmen Kapital und operative Unterstützung einholen. Banken versprechen sich davon gewinnbringende Zusammenarbeiten mit innovativen Start-ups. Die UBS beispielsweise hat erst kürzlich mit AAAcell – einem Jungunternehmen im Bereich des Asset- und Risikomanagement Verhandlungen über mögliche Kooperationen aufgenommen.

Partner gesucht

Auch das vielfach kolportierte Stigma der eigenen Innovationsunfähigkeit versucht die Bankenwelt abzulegen. Die UBS hat hierfür einen internen Wettbewerb ins Leben gerufen, die «UBS Grand Challenge». Bankmitarbeiter sind dazu aufgerufen, sich innovative Finanzlösungen für die Herausforderungen der heutigen Zeit auszudenken. Auch die Zürcher Kantonalbank führte kürzlich einen Mitarbeiter-Hackathon durch. Über 100 Mitarbeiter tüftelten während 48 Stunden an neuen Ideen. Im Fokus: der Kundennutzen.

Um relevant zu bleiben, machen sich Banken denn auch tatsächlich fit für die digitale Zukunft. So hat die UBS in Zusammenarbeit mit Bexio das «Liquidity Cockpit» geschaffen. Es erlaubt KMU-Kunden, direkt im E-Banking die Liquidität ihres Unternehmens zu überwachen und zu planen. Durch den Abgleich von Buchhaltungs- und Bankdaten erhält der Kunde eine optisch ansprechende Ansicht seiner Finanzlage. Das spart Zeit und ermöglicht eine bessere und effizientere Planung. Mit DSwiss lancierte die Grossbank UBS Safe, ein digitales Schliessfach. Dokumente und Passwörter können im E-Banking oder einer App gespeichert werden und sind so auch im Notfall jederzeit verfügbar.

Auch andere Banken suchen die Kooperation mit Jungunternehmen. So lancierte die Basellandschaftliche Kantonalbank im Sommer ihren eigenen Robo-Advisor. Die Technologie stammt vom Pionier TrueWealth. Hinter Hypicash, einer Plattform zur Vorfinanzierung von Debitorenrechnungen, der Hypothekarbank Lenzburg steht Advanon, das von drei Google-Mitarbeiter vor zwei Jahren gegründet wurde.

Bei all diesen Bestrebungen geht es letztlich um zwei Aspekte. Erstens: das Kundenbedürfnis. Technologie ist dabei immer nur ein Mittel, um ein Problem zu lösen. Ohne Kundenfokus laufen Banken Gefahr, die Kundenschnittstelle zu verlieren und zu Abwicklungsplattformen zu mutieren. Der zweite Punkt ist die End-to-End-Digitalisierung. Denn letztlich müssen alle Institute effizienter werden und Kosten sparen. Was via App möglich ist – das Eröffnen eines Kontos ganz ohne Schriftverkehr zum Beispiel – soll über einen vollumfänglich digitalisierten Prozess auch ermöglicht werden. Die Banken müssen sich von alten Zöpfen lösen – der Papierkrieg ist einer davon. Kubli ist überzeugt, dass diese Strategie Erfolg bringen wird. «Wir haben beobachtet, dass der Papier-Output nur schon in den letzten 12 Monaten um acht Prozent gesunken ist.»

Digitalisierung heisst aber auch, Digitales noch mehr zu digitalisieren. Gemeint ist: Digitales Banking muss von den stationären Computern auf die mobilen verlagert werden, aufs Smartphone. Ziel ist, dem Kunden die gesamte Bankenwelt auch digital auf dem Smartphone zu ermöglichen. Bereits heute ist ein Drittel aller aktiven Nutzer von UBS-Mobile-Banking nur noch über das Mobile-Telefon online. Dass die Nachfrage noch mobilen Dienstleistungen zunehmen wird, steht ausser Frage. Denn die Mehrheit der Google-Kinds will es eben noch digitaler.

Nächste Station: Regtech

Noch ziemlich neu für die Banken ist der Regtech-Bereich, zusammengesetzt aus Regulierung und Technik. Viele sehen darin das nächste grosse Ding in der Finanzwelt. Regulierung ist bis anhin sehr kostspielig, Technologie soll den Banken dabei helfen, ihren regulatorischen Überbau effizienter zu meistern. Fachleute versprechen sich dadurch Effizienzgewinne und noch mehr Innovation bei den Banken. Doch RegTech birgt auch Gefahren, gerade für etablierte Finanzinstitute. Patrick Hunger, CEO der Saxo Bank Schweiz gibt zu bedenken: «Regtech hat eine dunkle Seite. Wenn Regulierung digital entschlüsselt wird, verliert sie ihre heutige fragmentierende und die Banken schützende Komplexität. Sie lässt sich als standardisierte und – da digital – beliebig reproduzierbare Ware weiterverbreiten. Profitieren werden insbesondere industriefremde Wettbewerber wie Google, Facebook, Amazon oder Alibaba. Ihr Ausgangspunkt ist nicht wie bei den Banken Kosten-Effizienz, sondern Kunden-Effizienz.»

Wird sich RegTech für die Banken demnach als bittersüsse Pseudomedizin erweisen? Haben die Banken gegen ein entfesseltes Google oder Amazon überhaupt eine Chance? Gemäss Hunger hätte die Finanzindustrie schon zu oft über sich selbst nachgedacht. Ein Ausweg aus der Berater- und Produkt-Zentrierung habe sie bisher nicht gefunden. Das heutige digitale Experimentieren der Banken sei Ausdruck der strategischen Ratlosigkeit der Industrie. Hunger führt weiter aus: „Viele Banken wollen heute ein Technologie-Unternehmen sein. Die Frage ist warum? Welche Bestimmung sollen Banken in Zukunft haben und wie kann das eigene ‚Banking-Angebot‘ den Kunden der Zukunft mobilisieren?» Da dominante Distributionsplattformen ausserhalb der Finanzindustrie bereits bestünden und diese auch schon Vertrauen, Kunden und Mobilität auf sich vereinen würden, werde die Daseinsberechtigung von Banken wohl primär darin bestehen, diese Plattformen als dezentraler Netzwerk-Partner zu bereichern. Wer mit seinen Digitalangeboten nichts beizutragen habe, fliegt raus, so der CEO der Saxo Bank Schweiz.

Chancen wird es immer geben

Werden die Banken im App-Store für Finanzdienstleistungen ihre eigenen Killer-Apps erfolgreich vertreiben können? Kubli sieht durchaus Möglichkeiten: «Mit lokalen Lösungen haben Schweizer Banken sehr wohl eine Chance.» Als aktuelles Beispiel führt er Twint an. Die App, die von 40 Banken getragen wird, ist spezifisch auf den Schweizer Markt zugeschnitten, weist bereits mehr als 500 000 registrierte Nutzer auf und konnte im Oktober über 450 000 Transaktionen abwickeln.

Auch in Sachen digitaler Swiss-ID wurde erst kürzlich eine branchenübergreifende Kooperation angekündigt. Die Banken wollen damit nicht nur ihre Relevanz erhöhen, sondern eine lokale Lösung unterstützen, damit die Daten eben in der Schweiz bleiben. Es ist verständlich, dass lokale Lösungen auf grossen Anklang stossen. Das Lokale ist das Vertraute, und Vertrauen, so beteuern heute viele in der Banken-Industrie, sei einer der letzten, aber wichtigsten Trümpfe, welche die Banken noch hätten.

Doch ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Banken tatsächlich noch immer so stark? Beweisen nicht Bestrebungen wie die Vollgeldinitiative oder der unaufhörliche Anstieg des Bitcoin als Alternative zum Finanzsystem das Gegenteil? UBS-Digital-Chef Kubli wendet ein, dass Umfragen das Vertrauen der Bevölkerung in die Banken immer wieder bestätigten. So nennt er als das aktuellste Beispiel, eine Umfrage des Meinungsinstituts Populus im Auftrag von Visa. Gemäss dieser stört es die rund 2000 befragten Teilnehmer weniger, ihre persönlichen Daten einer Bank preiszugeben, als beispielsweise dem Staat.

Wie stark zukünftige Dienstleistungen aber tatsächlich an Vertrauen gebunden sein werden, ist zurzeit kaum absehbar. Weiterhin relevant bleiben wird das Thema Sicherheit. Wie Banken beteuern sind sie in Sicherheitsfragen heute gut positioniert. Punkto Cybersecurity werden man immer mehr in die Funktion des Ausbilders hineinwachsen müssen, so die allgemeine Überzeugung bei den Finanzhäusern. Auch hier haben Banken Chancen, wenn sie sich geschickt positionieren können. Wer überleben will und den Kodak-Moment abwenden möchte, muss sich bewegen.


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