Wenn Sicherheit zur Gefahr wird

Mit ihrer ultraexpansiven Geldpolitik haben Zentralbanken mehr Einfluss auf die globalen Finanzmärkte genommen, als ihnen lieb ist. Nun merken sie: Viele nicht beabsichtigte Konsequenzen entfalten ihre Wirkung. Die Normalität wiederherzustellen, ist gar nicht so einfach.

Text: Pascal Hügli

In Finanzlehrbüchern werden Anleihen generell als defensive Anlageklasse beschrieben, Staatsanleihen gar als sichere Geldanlage. Dies nicht zuletzt deshalb, weil sie eine regelmässige Rendite generierten und ihre Ausfallwahrscheinlichkeit gering sei, so die allgemeine Lehrmeinung.

Der seit über 35 Jahren anhaltende Bullenmarkt scheint diese Ansicht denn auch zu bestätigen. Der etwas kritische Anleger stellt sich jedoch die Frage: Wie sicher sind Anleihen tatsächlich und wie steht es um den gesamten Anleihenmarkt? Was, wenn Anleihen den Investoren ein falsches Gefühl von Sicherheit vermitteln? Werden fanatische Kritiker, die von einem Anleihen-Blutbad warnen, Recht behalten? Arif Husain fasst die Situation am Anleihenmarkt in einem Wort zusammen: «gefährlich». Seine Einschätzung führt der Obligationenspezialist von T. Rowe Price auf verschiedene, aber dennoch zusammenhängende Aspekte zurück.

Monetäre Gezeitenwende

Husain weist darauf hin, dass sich die globale Finanzwirtschaft an die niedrigen bis negativen Zinsen gewöhnt hätte. Sich von ihnen zu verabschieden, würde für alle Beteiligten zu einem gewaltigen Stresstest.

Beim Versuch, die Zinsen wieder zu normalisieren, würden die Zentralbanken nicht zeitgleich agieren – die US-Notenbank hat das Heft als erste in die Hand genommen. Die Fed sei aber in erster Linie um den heimischen Markt besorgt, so Husain. Eine Erhöhung der US-Zinsen führe jedoch zu Kollateralschäden für die übrigen Weltregionen. Insbesondere für Schwellenlandmärkte mit erheblichen Leistungsbilanzdefiziten könnten sich Finanzierungsprobleme ergeben, da diese stark vom US-Markt abhängig seien. Die Türkei sei hierfür derzeit das einschlägigste Beispiel, analysiert der Vermögensverwalter.

Die ultraexpansive Geldpolitik der Zentralbanken über die vergangenen Jahre haben gemäss Husain auch die Renditen von Unternehmensanleihen in den Keller gedrückt. Laut dem Portfoliomanager hätten die Unternehmen das billige Geld zwar auch dafür verwendet, ihre Verschuldung abzubauen. Gleichwohl sei derzeit eine Verschlechterung vieler Unternehmensbilanzen zu sehen, weshalb sich die Frage unweigerlich aufdrängt: Sind die Unternehmen finanziell genug stark aufgestellt, um die steigenden Zinsen zu schultern?

In dieser Hinsicht ist etwas beunruhigend, dass der Unternehmensanleihenmarkt generell an Qualität eingebüsst hat. Von den insgesamt 7,5 Billionen Dollar sind gerade einmal 2,55 Billionen in Hochqualitätsanleihen investiert. Von den anderen 5 Billionen entfallen etwas mehr als die Hälfte auf Anleihen der Rating-Kategorie BBB, den Rest machen Hochrisikoanleihen aus. Anleihen mit einem BBB-Rating sind zwar nach wie vor zu den erstklassigen Anleihen zu zählen. Aufgrund sich verschlechternder Fundamentaldaten lässt sich allerdings nicht abschliessend beurteilen, ob Kreditratingagenturen nicht allzu nachlässige Bewertungen abgeben. Denn schon einmal – im Vorfeld der Finanzkrise von 2008 – waren Moody’s und Co. zu lax bei der Bewertung von Kreditverträgen.

Zuletzt verweist Arif Husain auf die Liquidität im Anleihenmarkt. Diese sei auch schon einmal grösser gewesen. Durch die Globalisierung und Ausweitung der Finanzmärkte auf immer neue Kapitalmärkte würde zwar stets neue Liquidität zugeführt, doch könne der Wind in dieser Hinsicht auch schnell drehen, so der Vermögensverwalter.

Die Saat für einen Abschwung ist bereits gepflanzt

Die Zentralbanken führen den Märkten zurzeit noch immer Liquidität zu, wenn auch immer weniger. Sollte der Bestand der von Zentralbanken zugeführten Liquidität allerdings – wie das vorgesehen ist – ins Negative fallen, dürfte der Druck auf die Anleihenmärkte massiv steigen. Der Tag, an dem neue Zentralbankliquidität endgültig fernbleibt, muss nicht zwingend der Tag sein, an dem die Finanzmärkte kippen. Früher oder später – wohl eher früher als später – wird das Versiegen der Liquidität Auswirkungen zeigen. Das ultimative Anleihen-Blutbad befürchtet Arif Husain nicht. Die Kritiker, welche die Finanzapokalypse sichtlich herbeirufen, hält er für etwas gar besessen. Und doch muss er zugeben, dass sie in den letzten zehn Jahren nie bessere Argumente gehabt hätten als heute.

Was ist Anlegern angesichts der heutigen Situation zu raten? Sollten negativ rentierende Anleihen, wie beispielsweise Schweizer Staatsanleihen, ganz vermieden werden? Arif Husain stimmt diesem Vorschlag zu. Den Kauf einer Anleihe mit garantierter Negativrendite hält er für wenig sinnvoll. Mit einer Aktie habe man wenigstens die Chance auf eine positive Rendite, eine Negativzinsanleihe hingegen beschere einem mit Sicherheit einen kleinen Verlust. Bei der Aktie könne der Verlust jedoch auch viel höher ausfallen. Solche Trade-offs gelte es zu beachten, meint der Portfoliomanager.

Wer negative Anleihen trotzdem um jeden Preis vermeiden will, sollte eine globale Perspektive einnehmen. So lassen sich durchaus Orte finden, wo Anleihen nicht negativ rentieren und die Zinsen zudem stabil sind. Australische Anleihen beispielsweise offerieren eine ordentliche Rendite und auch die Zinsen sollten auf absehbare Zeit auf dem gegenwärtigen Niveau bleiben. Ähnliches gilt für Israel, das über einen ziemlich liquiden und qualitativ hochstehenden Anleihenmarkt verfügt. Als nächstliegende Alternative zur Schweiz bietet sich Schweden an, wo es zwar ebenfalls Negativzinsanleihen gibt. Da sie noch tiefer notieren, sind diese aber im Vergleich zu jenen der Alpenrepublik weniger renditezerrend. Ebenfalls für interessant hält Arif Husain kleinere- Länder, deren Anleihenmarkt von ein paar grossen Versicherungskonzernen dominiert ist, die im Falle eines Abwärtsdruckes als potente Käufer von Anleihen auftreten könnten – und dies auch immer wieder tun.


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